Patrick White – Der Maler/Die Twyborn-Affäre/Im Auge des Sturms.

Er ist der einzige Autor Australiens, der bisher den Nobelpreis für Literatur erhielt und nach drei gelesenen Werken muss ich ganz klar sagen – diese Entdeckung lohnt sich unbedingt!

Ich bin ganz ehrlich – ich hatte noch nie von Patrick White gehört und bin im Zuge von Recherchen zu australischen Autor:innen für die lange Reise zwangsläufig auf ihn gestossen. Patrick White (1912-1990) erhielt 1973 als bislang einziger Schriftsteller Australiens den Nobelpreis für Literatur und gilt als einer der wichtigsten Autoren der englischsprachigen Literatur des 20. Jahrhunderts. Neben zwölf Romanen verfasste er mehrere Dramen, Shortstories, Essays, Gedichte und eine Autobiographie (die sich sicherlich zu lesen lohnt!). Den Nobelpreis erhielt er „für seine epische und psychologische Erzählkunst, durch die der Literatur ein neuer Erdteil zugeführt worden ist„. Sehr schnell kristallisieren sich bei der Lektüre seine Themen heraus, sie kehren immer wieder, in jedem Roman: Adlige oder höher gestellte Personen der Gesellschaft, des öffentlichen Lebens, Künstler, der erste und zweite Weltkrieg, das Judentum sowie jüdische Protagonisten, queeres Leben – offensichtlich oder auch nur angedeutet, je nach Entstehungszeit und Coming out des Autors. Man muss sich Zeit nehmen für Whites Romane, sie sind episch, ausschweifend und alles andere als schnell zu lesen, die drei bisher gelesenen Romane „Der Maler“, „Die Twyborn-Affäre“ und „Im Auge des Sturms“ haben jeweils einen Seitenumfang um die tausend Seiten. Aber es lohnt sich. Ich mag seinen Stil, ich mag diese WortfetzenGedanken-Konstruktionen ohne Punkt und Komma und Leerschlägen, ich mag die Plots, ich mag die Figuren und natürlich auch diese epische Breite, die Mann’sche Ausmasse annimmt. Und doch hat es mich keinen einzigen Moment gelangweilt, gab es keine Momente, an denen ich das Buch beiseite legen wollte. Und selbstverständlich würde ich „Die Twyborn-Affäre“ zu einem sehr wichtigen Werk queerer Literatur zählen.

DER MALER – Ein packender Künstlerroman des Nobelpreisträgers Patrick White, dem »Faulkner Australiens« Seine ersten begabten Zeichnungen hatte Hurtle Duffield an die Wand eines Lagerschuppens geschmiert. Doch niemand ahnte, dass einstmals aus ihm jener gefeierte Künstler werden würde, dessen rätselhaften Bilder von der Gesellschaft »Gott-Malereien« genannt werden sollten. Von den mittellosen Eltern an einen reichen Viehzüchter verkauft, lernt Hurtle den privilegierten Lebensstil kennen – den moralischen Preis dafür verachten. Wie ein Chirurg wird er diese Welt, die er nicht lieben kann, im Zerrspiegel seiner Kunst gleichsam sezieren … (Piper Verlag)

„Der Maler“ ist ein Künstlerroman par excellance, dabei geht es nicht so sehr um die Biographie des Protagonisten, für mich ist es ein interessant komponierter Roman über Liebe und Abhängigkeiten in jeglicher Art von Beziehungen und weniger über die Kunst oder den Kunstbetrieb. Ein Pageturner!

Die TWYBORN-AFFÄRE – Eddie Twyborn, der Sohn eines Richters, kommt in diesem Sittenroman einmal als Mann und einmal als Frau zur Welt. Hochdekoriert aus dem Ersten Weltkrieg zurückgekehrt, hat er als Mann eine kurze Affäre mit einer Farmersfrau und eine noch kürzere mit dem Verwalter der Farm. Schliesslich ist Eddie Edith geworden, eine Bordellwirtin in London, die bei einem Bombenagriff im zweiten Weltkrieg ums Leben kommt. Das alles entrollt sich vor dem farbigen Panorama des 20. Jahrhunderts: der mondänen Welt der Riveria 1914, dem australischen Outback in den 20er Jahren und dem Grossstadtleben London in den 30er Jahren. (Piper Verlag)

Es ist zunächst nicht einfach, sich in „Die Twyborn-Affäre“ zurecht zu finden, vor allem weil es ständige Perspektivenwechsel gibt zur zusätzlich permanent wechselnden sexuellen Identität der Hauptfigur – dennoch, es ist spannend und aus heutiger Sicht so zeitgemäss und modern geschrieben, wie White über eine nonbinäre, genderfluide Person schreibt. Das liest sich wirklich toll und kann ich jedem/r Leser:in sehr ans Herz legen.

IM AUGE DES STURMS – Der einfachste und zugleich raffinierteste Roman des Literatur-Nobelpreisträgers Patrick White Im Mittelpunkt des Geschehens steht die reiche, einst unwiderstehliche Elizabeth Hunter, die das Sterben so souverän und aufwendig zelebriert, wie sie das Leben genossen hat. Ein letztes Mal ziehen die Jahre an ihrem inneren Auge vorüber, während ihre Kinder – der geadelte Starschauspieler Sir Basil und ihre durch Heirat zur französischen Prinzessin avancierte Tochter Dorothy – bereits um ihr Erbe streiten. Gegenwart und Rückschau fügen sich zu einer faszinierenden Biografie; noch angesichts des Todes triumphiert die Leidenschaft des Lebens. (Piper Verlag)

Von diesen drei gelesenen Werken Whites (und es werden nicht die letzten sein!) ist „Im Auge des Sturms“ wohl der Roman, der mich am nachhaltigsten beeindruckt, mich am meisten beschäftigt hat. Es ist die Biografie einer eher unangenehmen Person, man kann sich dem Sog nicht entziehen, man ist gefesselt von diesem Leben, dieser Egozentrik, aber auch von den vielen Randfiguren, die diesen Roman bevölkern. Elizabeth Hunter ist als Protagonistin abstossend und faszinierend zugleich, fast wünscht man sich, dass sie doch endlich sterben möge.

Hält man vor Ort in Australien, in Sydney, die Augen offen, so begegnet einem Patrick White immer wieder, man liest etwa im Museum von der Schenkung eines Werkes seinen Namen oder befindet sich plötzlich an Schauplätzen seiner Romane oder seiner Vita. Aufgrund der dreimonatigen Reise war es mir nicht möglich die Romane in Buchform mitzunehmen und so habe ich sie auf dem E-Reader gelesen. Hierzu muss ich leider sagen, dass das Lektorat des Piper Verlags für alle drei digitalen Ausgaben eine Frechheit ist. Noch nie hatte ich downloads von Romanen mit derart vielen Fehlern, das trübt das Lesevergnügen und wirft kein gutes Licht auf den Verlag. Ich hoffe sehr, dass man sich dazu entschliesst, eine überarbeitete Gesamtausgabe der gedruckten Werke herauszugeben oder zumindest die digitalen Ausgaben zu korrigieren. Die aktuelle Ausgabe wird diesem grossen Autor keinesfalls gerecht.

„Der Maler “ von Patrick White, Original: The Vivisector, Piper Verlag, ISBN: 9783492979030 (Werbung)

„Im Auge des Sturms“ von Patrick White, Original: The Eye of the Storm, Piper Verlag, ISBN: 9783492979047 (Werbung)

„Die Twyborn-Affäre“ von Patrick White, Original: The Twyborn Affair, Piper Verlag, ISBN: 9783492979023 (Werbung)

Weitere australische Autor:innen/Literatur:

Sally Morgen – Ich hörte den Vogel rufen

Colleen McCullough – Dornenvögel

Zuletzt gelesen:

Emmanuelle Bayamack-Tam – Sommerjungs

Lars Kepler – Der Hypnotiseur

Banana Yoshimoto – Ein seltsamer Ort

János Székely – Eine Nacht, die vor 700 Jahren begann

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Javier Marías – Berta Isla/Tomás Nevinson

Mohamed Mbougar Sarr – Die geheimste Erinnerung der Menschen

Virginie Despentes – Liebes Arschloch

16 Kommentare

  1. frau frogg

    Oh, da wünsche ich dann eine gute Reise! Die „Twyborn-Affair“ bringt mich jetzt grad sehr in Versuchung, obwohl ich gelernt habe, vorsichtig über Tausendseiter nachzudenken. Es ist doch eine rechte Zeitinvestition, so ein Ding zu lesen.

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    1. arcimboldis_world

      Naja, danke für die Wünsche, aber ich bin ja schon seit 3 Wochen zurück und komme einfach erst jetzt dazu, die mir wichtigen Blogposts nachzuholen. Ich kann Dir Patrick White wirklich ans Herz legen. Für mich war es wirklich eine Entdeckung. Und das waren sicherlich nicht die drei letzten Romane von ihm, die ich gelesen habe. Enjoy! Herzlichst aus Zürich. A.

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