Emmanuelle Bayamack-Tam – Sommerjungs.

Vom Verlag angepriesen als „Surf-Thriller voller strahlendem Eros und dunkler Abgründe“ klingt es zunächst etwas reisserisch und gemäss Klappentext nach einem typischen Coming-of-Age-Roman, die Lektüre ist dann überraschend, perfekt komponiert und eine absolute Empfehlung…!

Die Autorin Emmanuelle Bayamack-Tam war mir bisher unbekannt, dabei hat sie schon einige Romane veröffentlicht, auf „Sommerjungs“ bin ich eher durch Zufall gestossen – was für ein Glücksgriff. Wie nach und nach die Idylle dieser französischen gehobenen Mittelschicht-Familie bröckelt, zerstört wird, sich selbst zerstört ist ein absolut spannender Lesegenuss. Hinter den Fassaden steckt das Grauen des Alltags, Personen entpuppen sich als gnadenlos und setzen sich über jegliche soziale Konvention hinweg.

Thadée und Zachée, schön wie junge Götter, brillante Studenten, zwei Brüder aus gutem Hause und strahlend kraftvolle Surfer: Sie glauben, der Sommer ihres Lebens ende nie – dieser leuchtende Sommer zwischen mächtigen Wellen, aufschäumender Gischt und dem pudrigen Licht des Meeres. Tahdée jedoch, von einem Hai verstümmelt, findet sich jäh seiner so begnadeten Existenz beraubt. Eifersucht und bissiger Neid treiben ihre Wurzeln in ihm. Der plötzliche Tod von Zachée gibt der Familie den Gnadenstoss, die nun, von Thadées Schicksal bereits erschüttert, langsam, aber sicher in den Sog des Wahnsinns driftet. (Secession Verlag)

Es gibt sehr viele Momente und Handlungen, die für den Leser absolut glaubwürdig und nachvollziehbar sind. Es ist erschütternd, wenn der Vater denkt er ist an allem schuld, weil es ihnen/ihm zu gut ging und er das Glück überstrapaziert hat, indem er zu all diesem Familienglück, zu all dieser Idylle, auch noch ein jahrelang geheimgehaltenes sexuelles Abenteuer nebenher laufen hat. Liest man die Inhaltsangabe, so denkt man zunächst, huh, das ist etwas an den Haaren herbeigezogen. Beim Lesen erscheint dann alles plausibel und real und man wird förmlich hineingezogen in diesen Sog der Ereignisse und nimmt an der Zerstörung dieser Idylle teil, erlebt hautnah mit, wie die Familie sich auflöst, taumelt, Störungen entwickelt, sich zersetzt. Im Grunde ist es auch ein Stück weit Gesellschaftskritik, ein Bericht über sorgenlos reiche Kids, die in ihrer Blase leben, sich nur um ihr persönliches Vergnügen kümmern und diesen Status Quo bis ins Letzte verteidigen. Ein ungewöhnlicher Plot, gut geschrieben, gut übersetzt, weitaus mehr als die übliche Ferienlektüre, auch wenn sich das Thema vordergründig für die Strandliege anbietet. Sehr zu empfehlen!

„Sommerjungs“ von Emmanuelle Bayamack-Tam, 2022, Secession Verlag, ISBN 978-3-907336-17-5 (Werbung)

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