Die Toten – Schauspielhaus Zürich 14.06.2019

Grande Finale für Barbara Frey, die mit der letzten Inszenierung ihrer 10jährigen Intendanz am Schauspielhaus Zürich einen hochmusikalischen, berührenden und äusserst feinfühlig-ästhetischen Schlusspunkt setzte, eine Collage mit Texten von James Joyce in grossartiger Besetzung – besser hätte sie sich nicht verabschieden können. Brava!

Barbara Frey ist auch Musikerin. Das weiss man, dies hat sie sehr häufig in ihren Arbeiten gezeigt, dabei geht es aber nicht unbedingt um die musikalische Ausgestaltung oder Begleitung einer Produktion, vielmehr um Rhythmik und Gespür für Sprachmelodien, Harmonien und Dissonanzen im Text, in der Rezitation. Und all das gelingt bei diesem Joyce-Projekt – das einem sofort als Herzensangelegenheit von Frau Frey erscheint – mittels einer deklamatorisch äusserst starken und hochmusikalischen Besetzung: LISA-KATRIN MAYER, ELISA PLÜSS, BENITO BAUSE, JÜRG KIENBERGER, CLAUDIUS KÖRBER und MICHAEL MAERTENS agieren geisterhaft, wie Wesen aus einer sichtbaren Zwischenwelt, im grossartigen Bühnenbild gemäldeartig arrangiert und beleuchtet. Grossartig bereits zu Beginn die chorischen Litaneien und Zitate – das ist wohl das häufig vermisste Sprechtheater par excellence. Die Novelle „Die Toten“ gilt als einer der wichtigsten Texte von James Joyce und bildet den Schlusspunkt der Erzählsammlung „Dubliner“, teilweise werden hier auch Wegbegleiter, Familienangehörige und er selbst porträtiert. Orchestergleich gewandet (Kostüme: BETTINA WALTER) arrangiert Frey die Schauspieler streng ästhetisch in verschiedenen Räumen, die mehr an ein Mausoleum als an Wohnräume erinnern (Bühne: MARTIN ZEHETGRUBER). Die Geschichte um lebenslange Trauer um einen früh verstorbenen Geliebten wird verwoben mit Texten aus „Ulysses“ und „Finnegans Wake“, Joyce bleibt weiterhin ein Mysterium, seine Texte sind – nach wie vor – von ganz eigener Schönheit, das Ensemble bewegt sich fast schon geisterhaft zwischen den Zitaten, arrangierten Stilleben und einer wunderbar melancholischen Auswahl an verwendeten Musiken, etwa wenn Elisa Plüss mit glockenklarem Sopran einen Song von Loreena McKennitt „She moved through the fair“ interpretiert und die Zeit still zu stehen scheint. Oder das nur auszugsweise diahingehauchte „Spanish Eyes“ von Bert Kaempfert. Ganz sicher ist man sich als Zuschauer nie, ob wir auf der Bühne die Lebenden oder die Toten sehen. Wie ein Oratorium zieht der knapp zweistündige Abend an einem vorbei, man ist berauscht von der Sprache, der Musik, den Texten, der absolut stimmigen Inszenierung. Ein Abend der Stille, ohne Stillstand. Und wie die Novelle, endet auch dieser fulminante Joyce/Frey-Abend mit der berührenden Erkenntnis Gabriel Conroys: „Langsam schwand seine Seele, während er den Schnee still durch das All fallen hörte und still fiel er, der Herabkunft ihrer letzten Stunde gleich, auf alle Lebenden und Toten.“

Wunderbar!

Zuletzt besuchte Schauspielproduktionen:

„Die grosse Gereiztheit“ – Premiere/Schiffbau 15.05.2019

„Totart Tatort“ – Schauspielhaus Zürich 28.04.2019

„Dorian Gray“ – Theater Winterthur (Gastspiel Burgtheater Wien) 29.03.2019

„Henosode“ – Schiffbau Zürich 20.02.2019

„Frankenstein“ – Schauspielhaus Zürich 07.02.2019

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