Katharina Mevissen – Ich kann Dich hören.

Der Debütroman „Ich kann Dich hören“ von Katharina Mevissen ist betörend und verstörend zugleich und es gibt sicherlich unzählige Lesarten. So wird jeder Leser einen anderen Fokus für sich finden – um was es letztendlich in diesem nur 168 Seiten umfassenden Bändchen geht, kann man nicht allgemeingültig beantworten…

Es gibt eine zentrale Figur in diesem Roman, aber keine zentrale Geschichte. Das ist aber auch die Qualität dieses Romans, der sich eher wie eine zu lang geratene Short-Story anfühlt. Es geht um eine Liebesgeschichte, es geht um Musik, es geht um Migration, es geht um Familie, es geht um Identität, um Voyeurismus, aber auch um laut/leise, hörbar/stumm, es geht um Gegensätze…. – um nur ein paar Themen anzureissen. Man muss sich darauf einlassen und seinen persönlichen (Lese)weg finden, sonst hat man wohl keine Freude daran.

Osman spielt. Er soll es regnen lassen, doch seine Musik lässt sich nicht erweichen. Und daran ist sein Vater nicht allein schuld. Sehr vieles gerät erst in Bewegung, als er hört, was nicht für seine Ohren bestimmt war.Ein schalldichter Raum. Draußen die Großstadt. Osman Engels übt Cello. Er spielt an gegen unsichtbare Hindernisse, die irgendwo in seiner Vergangenheit liegen und denen er auf dem Fußballfeld besser ausweichen kann. In seiner Welt ersetzt Musik schon lange die Worte. Er kann selbst nicht gut zuhören, nichts festhalten, ohne Kontaktlinsen auch schlecht sehen. Als er ein zufällig gefundenes Aufnahmegerät abhört, wird er zum Ohrenzeugen einer Beziehung, die auf ganz andere Art laut ist. Seine Mitbewohnerin Luise lernt derweil im Nebenzimmer für ihre Prüfung, manchmal rauchen sie gemeinsam am offenen Fenster, kochen Knoblauchnudeln, bringen Altglas zum Container. Sie verstehen sich, ohne sich richtig anzufassen, denn auch mit der Liebe fangen sie gerade erst an.Als sein türkischer Vater, ebenfalls Musiker, sich das Handgelenk bricht und Tante Elide, seine Ziehmutter, nach fast zwanzig Jahren in Deutschland plötzlich nach Paris gehen will, ist Osman gezwungen, ein paar Dinge aufzuräumen, ein paar Fragen zu stellen.Der Roman erzählt von einem jungen Mann, dem Augen und Ohren geöffnet werden, und von einer Frau, die in der Stille lebt. Es geht um Vater-, Mutter- und Gebärdensprache und um die berührende Kraft von Musik. Ungewöhnliche Themen, eindringliche Bilder. Ein großes Talent. (Verlag Klaus Wagenbach)

Hat man als Leser für sich seine Geschichte gefunden, dann steigt man ein in die Geschichte und lauscht diesen leisen Tönen und Zwischentönen. Für mich persönlich war es die Suche eines Künstlers nach seiner Identität, das Lösen von Vorbildern, das Entdecken des eigenen Weges, Spurensuche und auch das Aufzeigen verschiedener Möglichkeiten von Kommunikation. Das alles in der eher schnörkelosen Sprache von Katharina Mevissen. Viele Dinge bleiben offen und auch unbeantwortet. Das mag ich normalerweise nicht, war hier aber für mich stimmig. Fast hat das Buch etwas von einem „Coming out“ – Roman. Osman ist kein Sympathieträger, aber man versteht viele seiner Gedanken, Handlungen, Entscheidungen. Ich kann nicht sagen, dass dies ein Roman ist, der mich gefesselt hat, aber er hat mich doch sehr beschäftigt.

„Ich kann Dich hören“ von Katharina Mevissen, Verlag Klaus Wagenbach, 2019, ISBN 978-3-8031-3306-9 (Werbung)

Dieser Blog-Beitrag ist ohne eine vereinbarte Zusammenarbeit mit dem Verlag entstanden. Ich habe ein Rezensionsexemplar als E-Book auf Anfrage kostenfrei zur Verfügung gestellt bekommen, wofür ich mich beim Verlag Klaus Wagenbach sehr herzlich bedanken möchte. Meine Meinung blieb davon in jeglicher Art und Weise unbeeinflusst. 

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