So manches Opernhaus wäre dankbar und würde vor Neid erblassen für eine Carmen-Produktion von dieser hohen Qualität: „Carmen La Cubana“ – eine kubanische Musicaladaption von Georges Bizets Opern-Welterfolg – ist auf Tournee und ein Besuch lohnt sich unbedingt, denn diese genreübergreifende Produktion ist hin- und mitreissend und ein MUST SEE!
Die 2016 am Théâtre du Châtelet in Paris uraufgeführte Produktion bietet alles, was ein grosser Abend braucht – Liebe, Leidenschaft, flirrende heisse Rhythmen mit sexy Tänzer*innen und natürlich eine stimmgewaltige und omnipräsente Besetzung. Die Verlegung der Geschichte in das Kuba der 50er Jahre macht absolut Sinn und ist glaubwürdig, denn auch Carmen kämpft für Freiheit und Unabhängigkeit und zahlt letztendlich zum Schluss einen hohen Preis dafür…
Alles beginnt am Vorabend der kubanischen Revolution: Fern der Hauptstadt träumt Carmen von einem besseren Leben. Der junge Soldat José erliegt ihren Verführungskünsten und flieht mit ihr in die Stadt. Als schillernde „Königin von Havanna” verliert sie das Interesse an ihrem treuen Begleiter und wendet sich dem charismatischen Boxer El Niño Martinez zu – mit verhängnisvollen Folgen … (BB)
Im Vorfeld eher skeptisch bei einer weiteren Carmen-Adaption, hat mich der Abend vollends mitgerissen. Das liegt zunächst einmal an den wirklich gelungenen kubanisch-karibisch arrangierten bekannten Arien und Ensembles von Georges Bizet – denen man sich nicht entziehen kann – und einem hervorragend besetzten Cast, allen voran LUNA MANZANARES in der Hauptrolle – GENAU SO und nicht anders stellt man sich eine Carmen vor, genau so muss eine Carmen sein: stolz, temperamentvoll, leidenschaftlich mit unzähligen feinen Nuancen – ein tolles Rollenprofil, was hier abgeliefert wurde. Luna Manzanares ist in Kuba ein gefeierter Star und verkörperte bereits in der Pariser Uraufführung die Carmen. Der José von SAEED MOHAMED VALDÉS gerät manchmal musikalisch etwas zu sehr in eine tenorale Schnulzenhaftigkeit mit Schlagerqualität, überzeugt aber dennoch vollends bis zum Showdown mit seiner unglücklichen Liebe Carmen im Box-Ring. Denn sein grosser Konkurrent ist kein Torreador, sondern der Boxer El Niño (JOAQUÍN GARCÍA MEJÍAS), immer begleitet von seinen zwei Buffo-„Managern“ (köstlich: JORGE ENRICO CABALLERO als Rico und MAIKEL LIRIO BRAVO als Tato). Zentraler Dreh- und Angelpunkt und dramaturgische Klammer in dieser spannenden Fassung ist aber ALBITA RODRÍGUEZ als La Doña. Sie übernimmt als schillernde Figur nicht nur die Weissagung der Karten mit Carmens Schicksal, sondern kommentiert immerfort in wechselnden Figuren die Handlung – präsent, mit grosser Stimmfülle, interessanten farblichen Nuancen und einer grossen Bandbreite unterschiedlicher Stilistiken (wundervoll ihr „Grande Dame“-Auftritt im 2. Teil als Casino-Sängerin!). Der Regisseur CHRISTOPHER RENSHAW (der auch Buch und Konzept verantwortet) hat zusammen mit seinem Team einen rundum stimmigen Abend kreiert, im Einklang dazu die flotten Choreographien von ROCLAN GONZÁLEZ CHÁVEZ – zwei choreografierte Szenen bleiben hierbei besonders in Erinnerung, zum einen die Streetdancer im Boxring (die ein wenig an brasilianischen Capoeira erinnern) und die düstere Szene der Weissagung im Halbdunkel der Bühne. Die 14 köpfige – im Bühnenbild integrierte – Bandbesetzung ist musikalisch äusserst stark und transportiert das überschäumende Temperament der kubanischen Bizet-Rhythmen bis in die hintersten Reihen. Der Abend ist und bleibt – dank spanischer Originaldialoge – absolut authentisch und hat unglaubliche Sogwirkung, mit Hilfe der Übertitelung an beiden Portalwänden kann man die teils sehr flapsigen Texte jedoch sehr gut verfolgen.
Bei dieser „Carmen“ würde sich Georges Bizet garantiert im Grabe umdrehen – allerdings vor Freude über diese rundum gelungene Adaption und weil er diesen karibischen Rhythmen keinesfalls widerstehen könnte.
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