La verità in cimento – Oper Zürich 4.10.2018

Vivaldi als Opernkomponist ist weitestgehend unbekannt und wird im gängigen Repertoire eher selten gespielt und im Vergleich zu Händel und Monteverdi eher vernachlässigt, das ist sehr schade, denn die Musik ist wirklich grossartig und lohnt, auf die Bühne gebracht zu werden. Äusserst sehens- und hörenswert gab es in Zürich eine Wiederaufnahme der wunderbaren Produktion von „La verità in cimento“…

Regisseur Jan Philipp Gloger hat hierfür mit seinem Dramaturgen Claus Spahn die – ursprünglich in einem Harem im Orient spielende – Handlung entrümpelt, entschlackt und in die gediegenen Räumlichkeiten einer Familie des gehobenen Mittelstandes verlegt. Das eher italienische Design der Räumlichkeiten hat etwas von konservativ-piefigen Zürichberg-Appartments, könnte aber genau so gut auch Mailänder Society sein. Das herrlich gezeichnete Rollenportrait von Liliana Nikiteanu als Rustena ist (für mich jedenfalls) eine typische stolze italienische Donna, immer darauf bedacht, den Schein nach Aussen zu wahren (und wunderbar melancholisch bei ihrem Wiegenlied, während sie im Schlafzimmer längst vergangene Zeiten als Diashow wieder aufleben lässt). Und man kann sich ein Dienstmädchen leisten. Doch die gestylte Fassade bröckelt sehr schnell und relativ zügig erfährt man, dass hier nichts ist, wie es scheint. Der Hausherr Mamud (Richard Croft als trauriger und bedauernswerter Auslöser all dieser Geschehnisse und gepflegt samtiger Stimme) hatte eine Affaire mit dem Dienstmädchen Damira (Delphine Galou selbstbewusst um ihre Rechte kämpfend) und vor vielen Jahren fast zeitgleich mit ihr und seiner Frau jeweils einen Sohn gezeugt, diese aber nach der Geburt vertauscht – als Entschädigung für Damira, da er Rustena geheiratet hat. Nun möchte er den Tausch rückgängig machen. Als er dies den Beteiligten kommuniziert, sind die Probleme vorprogrammiert, die unterschiedlichsten Interessen prallen emotional und wuchtig aufeinander. Das wirklich Schöne an diesen unzähligen Barockopern ist die Tatsache, dass man bereits aufgrund der Aufführungstradition beliebig Nummern ersetzen, streichen und ergänzen konnte und so entstand auch hier eine stringente, glaubwürdige und berührende Fassung, die bis zum Schluss eine spannende Geschichte erzählt. Ottavio Dantone und das Barockorchester des Opernhauses Zürich La Scintilla spielen präzise und kontrastreich und liefern dem Geschehen auf der Bühne die entsprechenden Klangfarben. Für dieses Kammerspiel hat Ben Baur einen sehr schönen Bühnenraum gebaut, der sich nach beiden Seiten bewegt und jeweils 2-3 Zimmer zeitgleich zeigt. Dreh- und Angelpunkt jedoch ist ein kleiner – eher dunkler Flur – in dem die Protagonisten mal wieder kurz zu sich kommen und ihre Fassade kurzfristig ablegen können. Denn sobald ein anderer Raum (Büro, Schlafzimmer, Esszimmer oder gar die nüchterne Garage für den silbernen Porsche) betreten wird, heisst es Stellung zu beziehen und seine Besitzansprüche zu verteidigen. Der Countertenor Christophe Dumaux als Melindo kämpft mit allen Mitteln für den Erhalt seines Erbes, während seine (voraussichtlich) zukünftige Gattin Rosane (Anna Devin) ein Fähnlein im Wind ist und ihre Lust und Liebe gewinnoptimiert und somit minutiös wechselnd verteilt. Das am Ende alle auf der Strecke bleiben und verlieren ist vorprogrammiert und wenn dann alle gegangen und/oder tot sind und der alleine zurückgebliebene Zelim (wunderbar hinreissend und bemitleidenswert zugleich: Deniz Uzun den ganzen Abend in schwarzer Anarcho-Streetwear von Karin Jud) seiner Depression freien Lauf lässt und eine hier eingefügte Arie aus der Vivaldi-Oper „L’incoronazione di Dario“ voller Traurigkeit singt, ist dies so wunderschön und mitreissend melancholisch – schöner hätte man diese Familientragödie nicht enden lassen können. Ein wunderbarer Abend mit herrlicher Barockmusik. Sehr berührend – gerne mehr davon!

Antonio Vivaldi behauptet in einem Brief, 94 Opern geschrieben zu haben, bisher konnten allerdings nur 49 als seine Werke identifziert werden, dennoch ein grosses Oeuvre. Seine Stoffe stammen fast ausschliesslich aus der Mythologie und der antiken Geschichte. Stilistisch sind die Opern Vivaldis barocke Nummernopern italienischer Art und unterscheiden sich deutlich von den französischen und deutschen Zeitgenossen (Rameau/Händel/Telemann).

“La verità in cimento“ von Antonio Vivaldi (1678 – 1741)

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