Im weissen Rössl – Bernhard Theater Zürich 23.12.2023

Einen Tag vor Heiligabend bietet die Produktion „Im weissen Rössl“ der Zürcher SHAKE COMPANY genau die richtige Portion an banaler Leichtigkeit, Gassenhauern, Plattitüden und Ohrwürmern, die generationenübergreifend mitgesungen werden können…

Das Bernhard Theater ist für Boulevard-Theater und „leichte“ Kost in Zürich die erste Adresse, egal ob von der Shake-Company oder von Ernst Vock und Konsorten bespielt. Benatzkys „Im weissen Rössl“ gab es in der Stadt schon lange nicht mehr zu sehen, das Stück selbst kennt aber wohl jeder Zuschauer 50 plus. Ob die jüngeren Generationen daran noch grosse Freude haben, wage ich zu bezweifeln, der Humor, die Witze , die Songs, sind sehr hausbacken und keineswegs mehr zeitgemäss. Im Grunde genommen ist eine Produktion von „Im weissen Rössl“ immer genau dann witzig, wenn man nicht versucht, das in die Jahre gekommene Stück von 1930 zeitgemäss aufzupeppen. Das funktioniert nicht, denn zu sehr ist es mit Peter Alexander und Waltraud Haas (von 1960) verknüpft, diesen alten Mief nimmt man am besten ernst, denn die Witze sind teilweise so grottenschlecht, dass sie schon wieder gut sind und eben einen ganz eigenen Charme besitzen. Sehr gelungen war die zuletzt besuchte Vorstellung „L’Auberge du Cheval Blanc“ an der Opéra de Lausanne 2021. Nun aber zur aktuellen Zürcher Produktion der Shake Company in der Regie von MARTIN SCHURR, von dem auch die witzigen Choreographien stammen: Schurr versucht glücklicherweise nicht – oder nur sehr dezent – diesen Operetten-Schinken aufzupeppen, er zeigt ihn (mehr oder weniger) originalgetreu und in einer musikalischen Kleinstfassung (Piano, Geige, Kontrabass und Akkordeon – musikalische Leitung: KEN MALLOR), die dem Stück sehr gut tut, auch wenn der zweite Teil zunächst etwas langatmig daher kommt, dann aber plötzlich mit dem Kaiser als deus ex machina schneller als erwartet sein Ende findet und man sich bereits mitten in der Applausordnung befindet. Die Ausstattung von ROMAN FISCHER ist zweckmässig und tourneefreundlich gedacht, die Kostüme von KATHRIN KÜNDIG zeigen keine aussergewöhnlichen Ideen, sondern sind dem Lokalkolorit angepasst, zeitlich nicht wirklich verortet. SUSANNE KUNZ als Rössl-Wirtin Josepha hat die richtige Portion Zickigkeit, bleibt aber durchgehend eine absolute Sympathieträgerin und kann choreographisch mit den ausgebildeten Musicaldarsteller:innen an ihrer Seite locker mithalten. MATTHIAS LIENER (Leopold) ist ein wirklich interessanter Typ mit sehr schönem wohlklingenden Tenor, MARIANNE CURN als Ottilie ist peppig, quirlig, witzig und musikalisch auf dem Punkt, das komplette Ensemble ist absolut treffend besetzt: FLAVIO DAL MOLIN als Dr. Otto Siedler ist charmant (und mit Marianne Curn zusammen ein sehr schönes Paar), MARIO GREMLICH eine Idealbesetzung für das ewig meckernde Berliner Original Wilhelm Giesecke, dazu die sehr präsente, fast schon dominant wirkende Jodlerin Kathi YAEL DE VRIES, NICO JACOMET gibt den Piccolo (und ist wie fast alle im Ensemble in weiteren kleinen und gut gearbeiteten Rollen zu sehen). Ausserdem: die herrlich lispelnde VICTORIA SEDLACEK zusammen mit ihrem vergeistigten Vater Prof. Dr. Hinzelmann (FABIO ROMANO – bringt mit „Luegid vo Bärg und Tal“ noch etwas swissness in die Produktion), LAVDRIM XHEMAILI (bleibt definitiv als breakdancende Kuh in Erinnerung) und RETO MOSIMANN (grossartig schmalzig als Sigismund Sülzheimer) ergänzen das sehr gut eingespielte Ensemble. Ein Gassenhauer jagt den nächsten und beim grossen „Wer spielt denn heute als Überraschungsgast den Kaiser“-Roulette betritt bei der von mir besuchten Vorstellung KAMIL KREJČÍ die Bühne – lucky me, denn er hat wirklich alles, was diese Figur braucht und füllt die Rolle mit seiner Präsenz und Erfahrung (zur Auswahl stehen noch drei weitere Überraschungsgäste: Victor Giacobbo, Christian Jott Jenny und Hanna Scheuring…). Natürlich muss man sich immer fragen, ob man dieses Stück heute noch auf die Bühne bringen, ob man sich diese olle Kamelle überhaupt nochmals anschauen muss, aber: dem Publikum gefällt es, es ist harmlos, unterhaltsam, relativ kurzweilig, passt ideal in diese mit selbstgemachtem Stress aufgeladene Advents- und Weihnachtszeit, man hat Freude an den Liedern, die man sein Leben lang kennt. Benatzkys „Im weissen Rössl“ verbreitet Wohlfühl-Atmosphäre und unterhält selbst Youngsters, die mit ihren Eltern die Vorstellung besuchen (müssen) – hinterlässt aber auch keinerlei bleibende Spuren…

Zuletzt besuchte Musicals/Operetten/Music Comedys:

„Bailo Bailo El Musical“ – Teatro Capitol Madrid Preview 26.10.2023

„Moulin Rouge!“ – Regent Theatre Melbourne 10.09.2023

„Sweeny Todd“ – Sydney Opera House 24.08.2023

„Natasha, Pierre & the Great Comet of 1812“ – Eternity Playhouse Sydney 23.08.2023

„Lady in the Dark“ – Theater Basel 4.12.2022

„Barkouf“ – Oper Zürich 31.10.2022

Dear Evan Hansen – Noël Coward Theatre London 15.10.2022

„&Juliet“ – Shaftesbury Theatre London 14.10.2022

„Cabaret“ at the Kit Kat Club – Playhouse Theatre London 13.10.2022

„Hamilton“ – Victoria Palace Theater London 12.10.2022

„Bodyguard“ – Premiere Theater 11 – 05.03.2020

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