Nach einer längeren Abstinenz (mit leichten Entzugserscheinungen) nun also endlich wieder einmal ein „Rosenkavalier“ – musikalisch eine wunderbare Vorstellung mit GMD FABIO LUISI am Pult und einem sehr gut disponiertem Ensemble…
SVEN-ERIC BECHTOLFs Inszenierung hat mir allerdings bereits beim letzten Besuch der Zürcher Produktion 2012 schon nicht gefallen und konnte mir auch dieses mal nur wenig Begeisterung entlocken. Die Ausstattung von MARIANNE UND ROLF GLITTENBERG verortet die Handlung irgendwie im 18. Jahrhundert und zitiert diese Zeit auch in vielen Details, dennoch gibt sie auch viele Rätsel auf, die ungelöst bleiben. Der erste Aufzug im Baudoir der Marschallin ist ein kahler weisser Raum, der erste Eindruck erinnert an einen Vogelkäfig – durch eine raumhohe Fensterflucht blickt man in ein eisiges schockgefrorenes winterliches Draussen, aber auch im Inneren herrscht keine Wärme: tote ausgestopfte Vögel an den Wänden und tote Bäume im Raum, diverses Mobiliar, das „Liebesnest“ ein paar – wohl eher ungemütliche – Decken am Boden (und später die Frage, warum sich Octavian in seine Verkleidung als Mariandl ausgerechnet im Kamin umzieht?). Der zweite Aufzug dann als blauer Raum: Die Küche des neureichen Herrn von Faninal, in der dann auch ganz unprätentiös die silberne Rose überreicht wird, während die Bediensteten unbeirrt weiterhin eine blaue Masse durch die Fleischwölfe drehen (womit verdient Faninal sein Geld?) und ebenfalls wieder totes Federvieh von der Decke hängt. Einzig für einen kurzen Moment ein wunderbarer Freeze, die Zeit bleibt stehen – die erste zarte Annäherung von Sophie und Octavian, ein sehr schöner und inniger Moment. Der dritte Aufzug: Konsequenterweise findet dann das Hinterzimmer für das berühmte Stelldichein (zwischen Mariandl und dem Ochs) seinen Platz im Baudoir der Marschallin – eine schöne Idee und Doppelung des Betrugs. Einige Regieeinfälle sind dennoch sehr bemüht, unnötig und fast schon nervig, wie zum Beispiel die als Käfer maskierten Lakaien (nur weil Ochs das in einem Satz erwähnt: „Halt! Was wollen die Maikäfer da?“ – gähn!) samt Kinderchor als Libellenfamilie. Der Tod und die Vergänglichkeit (nicht nur von Beziehungen…) ist in Bechtolfs Inszenierung allgegenwärtig, der gealtert-gedoppelte Rosenkavalier (im 2. Akt) ist allerdings kein neuer Einfall und wirkt etwas bemüht und abgegriffen. Entdeckung des Abends ist eindeutig SABINE DEVIEILHE als Sophie mit jugendlich-frischem Sopran, die hier als selbstbewusstes Mädel zeigt, was sie will und den Ochs in klare Schranken verweist. Der Octavian von Mezzo ANNA STÉPHANY hingegen ist eher spröde angelegt, die samtig-weichen Töne bei der Rosen-Überreichung zu Beginn des 2. Aufzuges wirken fast schon etwas deplatziert. Mit KRASSIMIRA STOYANOVA ist die Marschallin prominent besetzt und musikalisch absolut überzeugend (sehr berührend: „Die Zeit, die ist ein sonderbar Ding“ im 1. Akt), darstellerisch bleibt sie allerdings sehr eindimensional und erschöpft sich oftmals in Plattitüden – das ist sehr schade, ist doch gerade ihre Rolle die interessanteste Figur im ganzen Stück (leider ist ihre Robe im Finale auch ziemlich unvorteilhaft und man kann sehr gut verstehen, dass Octavian nun lieber mit Sophie zusammen ist). Der Besetzungshype um Stoyanova als Marschallin an vielen Häusern ist für mich unverständlich. CHRISTOF FISCHESSER ist ein fulminanter und omnipräsenter Ochs, der darauf verzichtet übertrieben zu poltern und nicht versucht in die Fusstapfen eines Ochs-Schwergewichtlers (wie zum Beispiel des grossartigen Kurt Moll) zu steigen, sondern der Rolle ein ganz eigenes und feines Profil verleiht – noch dazu mit einer tollen Textverständlichkeit!. MARTIN GANTNER ist ein musikalisch starker FANINAL (diese Partie ist ja nicht ohne….) mit grossem Verständnis für seine Tochter, der sich aber berechnend der jeweils erforderlichen Situation anpassen kann und wenn es sein muss, sogar dem Ochs die Füsse küsst. Im Ensemble stechen ausserdem besonders MIRANDA KEYS (Leitmetzerin), DERREK STARK (Sänger) und SPENCER LANG (Valzacchi) hervor.
Äusserst positiv überrascht das Dirigat von Fabio Luisi, der in meiner bisherigen Wahrnehmung nicht als grosser Strauss-Dirigent in Erscheinung getreten ist. Zusammen mit einem wirklich gut disponierten Orchester klingt das fast ungekürzte Mammutwerk frisch und kraftvoll, manchmal hätte man sich etwas mehr Lärm gewünscht, vor allem beim Vorspiel zum 3. Aufzug hätte es für meinen Geschmack etwas lauter poltern dürfen (und im 3. Akt auch gerne einiger sonst nicht unüblicher Striche bedurft). Sonst wurde alles bedient wie erwartet, von der wienerischen Walzerseligkeit bis hin zu den emotionalen Highlights: dem herrlichen Schluss-Terzett „Hab mir’s gelobt“ im 3. Akt (Marschallin/Sophie/Octavian) und dem immer wieder wunderbaren Duett mit Sogwirkung „Ist ein Traum, kann nicht wirklich sein“ von Sophie/Octavian (3. Akt).
Neben mir sass eine ältere Dame, die mir in der zweiten Pause erzählt hat, dass sie heute ihren ersten „Rosenkavalier“ sieht, den „Lerchenauer-Walzer“ total liebt und ein wirklich grosses Problem damit hat, dass „Frauenliebe“ hier so offen und deutlich gezeigt wird – so moderne Regie-Einfälle sind ihr zuwider, man hätte das doch auch dezenter lösen können. Und sie meinte das mit vollem Ernst. Ich war sprachlos und habe versucht ihr den Begriff einer Hosenrolle zu erklären – hat aber nicht gefruchtet und so muss ich jetzt beim Schreiben dieser Zeilen immer noch darüber lachen…
„Der Rosenkavalier“ von Richard Strauss (1864 – 1949)
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