Die Gezeichneten – Oper Zürich 2.10.2018

Mit Franz Schrekers Oper „Die Gezeichneten“ eröffnete die Oper Zürich ihre Saison 2018/2019 – das kann man mutig nennen (naja) oder man schwimmt einfach auf der Jubiläumswelle mit. Das Stück wurde 1918 an der Frankfurter Oper uraufgeführt und erlebt im Zuge dieses „100jährigen Geburtstages“ gerade eine kleine Renaissance, wurde also in letzter Zeit wieder vermehrt gespielt – das Werk ist nicht uninteressant, in dieser Neuinszenierung von Barrie Kosky jedoch etwas spröde und gleichzeitig banal…

Die eigentlich komplexe Handlung verlegt Kosky in ein neutrales Hier und Jetzt, konzeptionell (und das ist eine wirklich kluge Idee) ist der junge Salvago kein buckliger Krüppel, seine Behinderung sind die nicht vorhandenen Hände. Aufgrund dieser Stümpfe ist es Salvago nicht möglich, selbst Kunst zu produzieren – so ist er Mäzen und Kunstliebhaber und erschafft auf der Insel „Elysium“ eine Traumwelt aus Kunst. Dies wird jedoch von genuesischen Adligen (oder hier vor allem im ersten Akt fast schon zur teilweise tuntigen Karikatur überspielt von Paul Curievici, Iain Milne, Oliver Widmer, Cheyne Davidson, Ildo Song und Ruben Drole) in einer unterirdischen Insel-Grotte als Tempel der Lust und des Lasters missbraucht. Salvago nimmt nicht teil und will die Insel an die Stadt Genua abstossen, was nicht im Interesse der Obrigkeit ist (denn offensichtlich mischt sie mit…). Beim Treffen mit dem Podestà der Stadt Genua (wunderbar: Albert Pesendorfer) in den privaten Räumen von Salvago (mehr oder weniger ein nüchternes Museumsambiente von Rufus Didwiszus für die private Skulpturensammlung Salvagos) lernt er auch dessen Tochter Carlotta (Catherine Naglestad) kennen, die bei weitem älter wirkt, als ihre Mutter (stumme Statistenrolle – seltsamerweise viel zu jung besetzt…). Carlotta ist offensichtlich Künstlerin und erschafft für Salvago zunächst skulpturale Hände, die sie ihm zum Aktschluss an die Stümpfe steckt, zum Finale verwandelt sie Salvago auf der sich drehenden Töpferscheibe in eine Skulptur und wird somit selbst zur Kunst, wenn er sie schon nicht erschaffen kann. Das sind auch die zwei stärksten Bilder des Abends. Alles Weitere bleibt nur angedeutet und diffus. So meine ganz persönliche Lesart des Regiekonzepts. John Daszak in der Hauptrolle des Alviano Salvago ist darstellerisch hervorragend und omnipräsent, sein Tenor klingt – für meinen Geschmack – immer etwas zu scharf und schneidend und geht einem irgendwann auf die Nerven. Sein Gesang lässt allzu häufig feinere Nuancen und leise Töne vermissen, das liegt aber auch daran, dass vor allem das Blech in einer teilweise fast schmerzhaften Lautstärke aus dem Graben tönt. Der musikalische Leiter dieser Produktion Vladimir Jurowski setzt häufig auf vordergründigen Druck und erinnert häufig an grossangelegte Strauss-Klänge und Opulenz. Catherine Naglestad hat mich in dieser Rolle nicht wirklich überzeugt, zu unausgegoren ist ihre Rollengestaltung – ist sie nun vergeistigte Künstlerin oder Femme Fatale? Das vermittelt sich nicht. So bleibt sie insgesamt sehr blass und unentschieden. Stark dagegen Thomas Johannes Mayer als Tamare, sowohl musikalisch als auch Carlotta gegenüber mit seinen feinen Verführungskünsten. Insgesamt hatte ich den Eindruck, dass Barrie Kosky bei dieser Produktion etwas lust- und einfallslos war, sie hatte lange nicht die Intensität anderer Produktionen von ihm, wie zum Beispiel sein Zürcher „Macbeth„. Bis auf ein paar wenige Momente hat mich diese Neuproduktion nicht wirklich begeistert oder mitgerissen. Natürlich ist es spannend und äusserst lobenswert, dieses eigenwillige Stück im Spielplan zu finden, langfristig gesehen gibt es aber noch viele weitere spannende Werke – auch bei Schrekers Zeitgenossen (Korngold, Zemlinsky etc.) – fürs Repertoire zu entdecken. Existieren aus dieser Zeit doch viele, irgendwie schräge, Libretti und Sujets – der Psychoanalyse und Sigmund Freud sei Dank.

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