Arcimboldis Column #16: Bin ich (immer noch) ein Wagnerianer?

Es ist Sommer. Hurra. Und nun sind sie wieder gestartet und die Berichterstattung läuft auf Hochtouren – die Bayreuther Festspiele. Gestern Abend bin ich – beim Zappen zwischen dem Krimiklassiker „Lewis“ und „When Gameshows go horribly wrong“ – auf einem anständigen und seriösen Kultursender zufälligerweise in die Ausstrahlung des neuen „Lohengrin“ von Yuval Sharon und Christian Thielemann geraten und ich bin NICHT hängengeblieben. Erstens sehe ich diese Neuproduktion kommende Woche sowieso live am Hügel, zweitens sah der kurze Eindruck absolut uninteressant aus (am TV zumindest) und unabhängig davon, habe ich einmal mehr festgestellt, wie wenig mich das noch interessiert. Mich treibt nun die Frage um: Lohnt sich der Bayreuth-Besuch (immer noch)? Bin ich (immer noch) ein Wagnerianer…? 

War ich jemals einer? Wie definiert man das? Braucht man unerschöpfliches musikwissenschaftliches Wissen zu diesem Thema? Reicht hierzu bereits der Besitz vieler Anekdoten und Gerüchte um Sängerpersönlichkeiten oder einfach nur die Liebe und Hingabe zur Musik? Wie aufgeregt war ich doch 1992, als ich zum ersten Mal zum „grünen Hügel“ pilgern konnte, ich hatte Karten für Parsifal (Wolfgang Wagner/Levine/Domingo/Meier), Siegfried (Barenboim/Kupfer/Jerusalem/Polaski) und Die Walküre (Barenboim/Kupfer/Polaski/Tomlinson) – war das eine Offenbarung für mich! Endlich Bayreuth! Bis anhin erschien mir das immer unerreichbar. Die immer (von Bayreuth selbst) am Laufen gehaltenen Gerüchte und Geschichten über mindestens 10 Jahre Wartezeit bis zu ersten (regulär erhältlichen) Tickets und andere Mysterien um diese Festspiele machten immer wieder die Runde und ich fühlte mich wie auserkoren dabei sein zu dürfen. Natürlich waren die beiden Abende des Kupfer-Rings grossartig, der W.W.-Parsifal war es natürlich nicht (ausser Meier als Kundry). Aber der Klang, der Klang, der Klang, der Klang – über den immer alle sprachen. Endlich konnte ich ihn selbst erleben (und dann auch noch beim Parsifal). Und die Pausen-Fanfaren. Und das stundenlange Flanieren im Festspielpark, samt weissgedeckten Picknickplätzen. Und das Essen vorher in der „Bürgerreuth“. Natürlich auch die Pausen-Fussbäder in der gegenüberliegenden Kneippanlage. Und die „fundierten“ Diskussionen im Anschluss, die Pro’s und Contra’s und jeder Besucher, der meint der absolute Wagnerkenner zu sein. Dazu die obligate jährliche Sommerloch-Berichterstattung der Medien über Bayreuth und die forcierten Skandale und Skandälchen. Jedes Jahr neue Wagner-Biographien und neue Enthüllungen von Wagner-Enkeln und Wagner-Urenkeln und sonstigen dem Kult nahestehenden Personen, Familienmitglieder und Musikwissenschaftler, die etwas auszuplaudern hatten über diesen ach so miesen und umstrittenen Clan, den immer noch latent vorhandenen Antisemtismus und nicht zu vergessen: das Œuvre des Genies Richard Wagner. Und alles was die weiteren Jahre danach geschah, hatte immer die Aura des ganz Besonderen. Und ICH konnte daran teilhaben. Dennoch oder gerade deshalb gab es bis auf 2 – 3 Ausnahmen kein Jahr, an dem ich nicht einige heisse Sommertage in der „Schäuferla-Metropole“ Oberfranken verbracht habe. Stundenlang im heissen unbequemen Festspielhaus, stundenlang die Türen bewacht von den „blauen Mädchen“, die immer irgendwie an den Zellen-Einschluss im Frauenknast erinnern (Zitat O. F. – hier muss ich lachen und absolut zustimmen).

Halte ich Rückschau auf diese nun doch bereits 26 Jahre Bayreuth-Pilgertum, so ist das natürlich emotional – durfte ich doch einige für mich bahnbrechende Produktionen miterleben. Highlights waren zweifellos Heiner Müllers Tristan und Isolde (1993/1996/1997/1999), natürlich der sensationelle Parsifal von Christoph Schlingensief (2004/2006/2007), Castorfs Ring (hier vor allem Rheingold – 2013) sowie der Lohengrin von Hans Neuenfels (2014). Aber reicht das aus, um eine insgesamt positive Bilanz über so viele Jahre zu ziehen?

In den letzten Jahren musste ich zusätzlich feststellen, dass meine Begeisterung für Wagners opulente Musik immer weiter nachgelassen hat. Habe ich bis anhin immer vehement widersprochen – wenn jemand meinte, dass man alles extrem kürzen könnte -so kann ich dem nun zustimmen. Und was den Mythos Bayreuth anbelangt, so hat sich dieser für mich in Schall und (Achtung – kleines Wortspiel: Neo) Rauch aufgelöst. Es gibt so viele spannendere Festivals (sage ich hiermit voller Überzeugung nach meiner herrlichen Zeit in Aix-en-Provence 2017 und vier wundervollen Vorstellungen ebendort!) als Bayreuth, welches sich eigentlich nur noch durch die Historie und Rituale definiert, an denen krampfhaft festgehalten wird. Die Zeiten, in denen die Medien aufgrund überragender künstlerischer Leistungen berichteten sind lange vorbei, heutzutage sind die (inszenierten?) Skandälchen interessanter: Jonathan Meese, Lars von Trier oder zuletzt die kurzfristige Absage von Roberto Alagna (by the way – kein grosser Verlust).

Mir stellt sich dieses Jahr wieder einmal eindringlich die Frage, warum ich dennoch jedes Jahr, immer wieder, sofort nach Erhalt die Kartenbestellung ausfülle und abschicke und warte und hoffe, wenn es mittlerweile nur noch ein (liebgewonnenes?) Ritual ist? Wieso lasse ich es nicht darauf beruhen und verbuche es als langjährige Erfahrung? Wirklich Neues bringt das nicht – weder inhaltlich, noch kulinarisch (Schäuferla ist Schäuferla) und neue Erkenntnisse zum Werk gibts sowieso nicht. Diese Begeisterung bleibt längst aus. Ins stundenlange Opern-Schwärmen (wie zuletzt bei einer sensationell guten Produktion von Monteverdis „L’incoronazione di Poppea“ in Zürich) gerate ich auch nicht. Warum also? Ich werde diese Frage nach dem diesjährigen nun anstehenden Bayreuth-Besuch (Jan Philipp Glogers Holländer und eben jener neue Lohengrin – an dem ich beim Zappen NICHT hängen geblieben bin…) überdenken, mit mir diskutieren und sehen was passiert, wenn zeitnah nach der letzten Vorstellung Ende August 2018 bereits die Bestellzettel für 2019 ins Haus flattern… – wobei ich Bayreuth im nächsten Jahr für mich bereits abgesagt habe, da der Putin-Scherge Valery Gergiev mich total ablöscht. Eine externe Frau am Hügel für Regie oder gar Musikalische Leitung ist wohl auch zukünftig undenkbar – ausserdem könnte das die mässig talentierte Katharina Wagner wohl nicht ertragen…

Und dennoch: wenn es in Zürich ab 2021 einen neuen Ring geben wird (Andreas Homoki/Gianandrea Noseda) werde ich sicherlich – sobald der Vorverkauf eröffnet ist – mir meinen Platz sichern, dabei sein und erneut die Sogwirkung dieses sechzehnstündigen Werkes spüren (und wenn es nur der plattgesessene Hintern ist)…

Hm. Hm. Oder doch nicht?

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