ENDLICH kann man wieder ins Schauspielhaus Zürich gehen, endlich ist diese Durststrecken-Intendanz von Steman und von Blomberg vorbei und es gibt wieder Theater für ALLE und nicht für die eigene Blase, endlich wird dort wieder lustvoll inszeniert und gespielt und kein stundenlanger Diskurs geführt…
Endlich kann man an einem Freitagabend wieder essen gehen und anschliessend knapp 3 Stunden ein neues Stück sehen, ohne ein ach so wichtiges Thema verhandeln zu müssen. Endlich wieder ein Stück, bei dem sich offensichtlich jemand Gedanken um Ausstattung und Kostüme gemacht hat und das Ensemble nicht aussieht, als hätten sie ihre Outfits im KiK eingekauft, endlich wieder ein Stück, in dem nicht die Schauspieler:innen auf leerer Bühne stehen, sich filmen und ins Handmikrophon nuscheln oder gar versuchen zu singen. Es ist so: Manchmal möchte man eben einfach nur sitzen und schauen. Das heisst nicht, dass man sich keinen aktuellen Themen stellen möchte, aber eben nicht immer mit der pseudointellektuellen Diskurs-Hammerschlag-Methode. „Frau Yamamoto ist noch da“ zeigt alltägliches Leben mit alltäglichen Menschen in alltäglichen Situationen, das ist mehr, als es in den letzten 5 Jahren im Pfauen und im Schiffbau zu sehen gab, obwohl man doch angetreten war, um Theater für die Stadt und seine Menschen zu machen, dieses Ziel aber komplett (bis auf eine grosse Ausnahme…) verfehlt hat. Nun also Saisoneröffnung zur einjährigen interimistischen Saison von Ulrich Khuon und seinem Team mit einer Uraufführung: Nach anfänglichen Schwierigkeiten bin ich eingetaucht in diese kleine Welt, in diesen Mikrokosmos und fand es keine Minute zu lang, ich mochte jede der Szenen, ich mochte diesen neuen Text von DEA LOHER wirklich sehr. Ich mochte diese sehr schöne Bühne von FLORIAN LÖSCHE und die wirklich gelungenen Kostüme von PAULINE HÜNERS. Ich mochte die atmosphärisch dichte, leicht melancholische Musik von THE NOTWIST und ich mochte die unaufgeregte Inszenierung von JETTE STECKEL. Zu Beginn dauert es etwas, bis das Ensemble sich freigespielt hat, aber danach vergeht die Zeit wie im Flug und bis ich mich versehe, ist es kurz vor 23.00 Uhr und die Vorstellung zu Ende. Und das Stück von Dea Loher? Eine wunderbare Collage verschiedener Episoden und zauberhafter Miniaturen, Menschen, die zusammenleben oder es zumindest versuchen, Betrachtungen über das Leben, den Tod und das (wohl nicht vorhandene Leben) danach, unaufgeregt, lebensecht, wahrhaftig und mit ALICIA AUMÜLLER, THOMAS WODIANKA, SEBASTIAN RUDOLPH, DANIEL LOMMATZSCH, MATTHIAS NEUKIRCH, CHARLOTTE SCHWAB grossartig besetzt – meine persönliche Favoritin in dieser Runde ist sicherlich JUDITH HOFMANN, wunderbar ihr gespielter Dialog über den Messie-Nachbarn im Haus gegenüber und natürlich die immer wieder grosse Marthaler-Veteranin NIKOLA WEISSE als Frau Yamamoto, einzig die Stimme, die Stimmlage von MIRCO KREIBICH ging mir den ganzen Abend etwas auf die Nerven. Eines der Highlights ist für mich kurz vor der Pause die Szene im Bad, Vater und Tochter und ihr Gespräch über den nahen Tod des Onkels, so lebensnah und authentisch – wunderbar (leider konnte man auf der ausgehängten Besetzung nicht ersehen, wer an diesem Abend die beiden Kinderrollen spielt). Ein nicht so gut besuchter Pfauen an einem Freitagabend, das sind die Reste des Scherbenhaufens, den die beiden vorhergehenden Intendanten hinterlassen haben und es braucht Zeit, bis man wieder das Gefühl hat, ja, hier wird Theater für mich gemacht. Aber man ist auf gutem Wege, ich bin zuversichtlich und es macht mich froh, endlich wieder gutes Sprechtheater am Schauspielhaus Zürich sehen zu können. „Seid ihr glücklich?“ wird das schwule Paar gleich zu Beginn des Stückes gefragt, nach diesen knapp 3 Stunden kann ich nur sagen „Ja. Voll“. Also: Vorfreude auf alles Kommende in dieser Saison 2024/25 am Schauspielhaus Zürich…!
Zuletzt besuchte Schauspielproduktionen:
Der Theatermacher – Berliner Ensemble/Theater Winterthur 01.06.2024
Faust I & II – Schauspielhaus Zürich 24.03.2024
Orestie – Luzerner Theater 23.09.2023
Mein Kampf – Theater Winterthur 25.05.2023
EWS – Der einzige Politthriller der Schweiz – Theater Neumarkt Zürich 01.02.2023
Die Physiker – Theater Basel 17.12.2021
King Lear – Schauspielhaus Zürich 15.12.2021
Monkey Off my Back or The Cat’s Meow – Schauspielhaus/Schiffbau 12.12.2021
Orpheus – Schauspielhaus Zürich/Schiffbau 22.09.2021
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