Järvi/Marshall: Dessner/Gershwin/Marshall/Rachmaninow – Tonhalle Zürich 15.12.2023

Der Brite WAYNE MARSHALL ist ein grosses Multitalent und weltweit gefragt als Pianist, Dirigent und Organist – eigentlich schade, ist er erst jetzt mit seinem Debüt in der fast ausverkauften Tonhalle Zürich zu hören. Bekannt ist Marshall vor allem für seine Improvisationen und seine Liebe zur Musik von Gershwin, Bernstein und anderen zeitgenössischen amerikanischen Komponisten. Gershwins „Concerto in F“ ist dann auch das alles überstrahlende Highlight dieses Konzertabends…

Als Auftakt gibt es aber zunächst „Mari“ von Bryce Dessner, das als Auftragswerk des Tonhalle Orchesters 2021 unter Semyon Bychkov uraufgeführt wurde. Es entstand während der Pandemie und ist nach der baskischen Göttin des Waldes – Mari – benannt. Dessner selbst bezeichnet es als ein Gefühl, als „eine Art Ehrerbietung für eine Musikwelt, die wir geteilt haben; wie sich Erinnerungen zu etwas nie Dagewesenem zusammenfügen, ein kreativer Funke oder der Dialog mit etwas aus vergangenen Zeiten“. Das Stück ist ein wunderbarer Konzert-Opener mit seinen Fragmenten und Texturen und stimmt die Zuhörer ein, bringt das Auditorium zur Ruhe. Es ist zeitlos und kraftvoll, sehr sanft und kommt dennoch mit einer Wucht daher, die betört. Dessner als Creative Chair für diese Saison 2023/24 zu holen ist eine grossartige Entscheidung und man darf sehr auf die weiteren Konzerte mit seinen Werken gespannt sein – „St. Carolyn by the Sea“ unter Simone Young vor Kurzem war bereits ein erstes Highlight. Im Anschluss dann Wayne Marshall am Flügel. Es ist noch nicht so lange her, dass Gershwins wunderbares „Concerto in F“ hier in der Tonhalle unter Paavo Järvi zu hören war (2022 mit Kirill Gerstein für den erkrankten Igor Levit). Ein wundervolles Stück – immer wieder blitzen die jazzigen Elemente auf, Marshall tänzelt leicht durch die improvisierten Teile, während dem Grossteil der Orchestermusiker und auch Järvi anzusehen ist, mit welch‘ grosser Lust sie dieses Stück gemeinsam musizieren. Diesem Gefühl, dieser Rhythmik des Werkes kann man sich nicht entziehen, immer wieder grossartig es zu hören. Als Zugabe gibt Wayne Marshall Gershwins „Love is here to stay“, bevor er sich in die Pause verabschiedet.

Bryce Dessner: „Mari“ für Orchester – George Gershwin: Concerto in F – Encore Wayne Marshall: George Gershwin: „Love is here to stay“ – Wayne Marshal: Orgel-Improvisationen (Johann Sebastian Bach: In dulci jubilo & Charles-Marie Widor: Toccata 5. Sinfonie) – Sergej Rachmaninow: Sinfonische Tänze op. 45

Der zweite Teil beginnt mit Improvisationen Marshalls von Bachs „In dulci jubilo“ sowie die famose Toccata aus Widors 5. Sinfonie, der Klang der neuen Orgel ist immer wieder überwältigend und hat offensichtlich auch Marshall beglückt. Improvisation ist die grosse Leidenschaft Wayne Marshalls, es ist ihm ein Anliegen, dies immer wieder auch in die Konzertsäle zu tragen. Virtuos und leichtfertig präsentiert er uns diese beiden ausgewählte Werke und lässt uns teilhaben an seiner Kreativität und seiner Leidenschaft in dieser Disziplin.

Die Improvisationen Marshalls auf der leeren Podesterie – alleine auf der Bank an der Orgelstation an der Rampe – wären ein schöner Schlusspunkt für das Konzert gewesen, stattdessen aber gibt es noch die gut 35 Minuten dauernden „Sinfonischen Tänze“ von Sergej Rachmaninow – sehr schön, doch nach diesem Konzertprogramm einfach zu viel und erschöpfend. Rachmaninows letztes Werk ist facettenreich und bietet eine Fülle an unterschiedlichen Klangfarben, zu hören sind expressive Blechbläsermomente und viel Schlagwerk, bis es in ein wirklich betörendes fulminantes Finale mündet. Aber nach dem George Gershwin – Highlight und Wayne Marshall fällt es schwer, dieses letzte Stück noch richtig zu würdigen. Einmal mehr merkt man beim Schlussapplaus die tiefe Verbundenheit von Järvi und dem Orchester – wir können uns in Zürich wirklich glücklich schätzen, haben wir dieses hochkarätige Orchester und seinen Music Director Paavo Järvi.

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