Mir nämeds uf ois/Marthaler – 31.03.2018 Schauspielhaus Zürich

So herrlich gemarthalert hat es schon lange nicht mehr im Pfauen. „Mir nämeds uf ois“ – Was für ein toller neuer Abend von Christoph Marthaler, dessen Verbindung mit Zürich und dem Schauspielhaus bekannterweise nicht unkompliziert war! Nach 2 Stunden bunter Collage und witzigen musikalischen Versatzstücken und Zitaten verlässt man beglückt das Raumschiff des Sonderfluges MNUO-SW 17 („Mir nämeds uf ois – Staatswesen 17), mit dem eine illustre Auswahl an Passagieren ihre Schulden und verschuldete Zwangslagen hinter sich gelassen hat…

Nach dem Einzel-Check-In der Passagiere zur Musik von „Bilitis“ beginnt der Flug bereits köstlich mit dem Matrosenchor aus Wagners „Der fliegende Holländer“ und man weiss, sie alle haben ihr persönliches Steuerrad verloren. Unzählige weitere wunderbare Wagnerzitate folgen im Laufe des Abends (von „Walküre“ über „Parsifal“ bis hin zu den so passenden Büßerchören aus „Tannhäuser“ und natürlich dem finalen „Rheingold“, wenn die Götter ihre Burg besteigen und das „menschliche Kultur-Hologram“ auf einem spanischen Serrano-Schinken (?) reitet (grossartig bewegt sich Tore Augestad den ganzen Abend musikalisch zwischen Mendelssohn und Michael Jackson). Jede einzelne Figur des Abends ein Höhepunkt: unter anderem Gottfried Breitfuss als „Baulöwe“-Lugner-Karrikatur („Ein Heiligenschein passt nicht zum Bau“), Nicolas Rosat als „FAFI“-Funktionär, Nikola Weisse als „unschuldige“ Inhaberin von Paradise-Papers oder Ueli Jäggi mit seiner herrlichen Udo-Jürgens-Nummer „Wer nie verliert, hat den Sieg nicht verdient“. Mit tollen Arrangements und grossartig begleitet wird der Abend am Klavier von Stefan Wirth und Bendix Dethleffsen sowie der überaus freundlichen Stewardess Susanne -Marie Wrage.

Der Plot des Abends (Befreiung aus Zwangslagen persönlicher und beruflicher Art, Ablagerung dieser Sorgen in „Bad Banks“) wird zur Nebensache, im Vordergrund steht ein musikalisch-episodischer typisch marthalerischer Kessel Buntes. Mein persönliches Highlight des Abends: Siggi Schwientek, der als Manager im südamerikanischen „Wasserbusiness“ mit dem Priester und ehemaligen Coiffeur (Jean-Pierre Cornu) nach der Absolution gemeinsame Sache macht. Da ist aber auch noch Nikola Weisse mit ihrer zerbrechlichen Elton-John-Ballade „Sorry seems to be the hardest way“ und natürlich  der grandiose 80er Jahre Sound von Kraftwerk mit Schlafbrillen oder im Finale der Zürcher Sechseläuten-Marsch samt explodierendem Böög und der darum tanzenden Zürcher Society und und und… ein knallbuntes, todernstes, zum Schreien komisches Potpourri-Universum (samt schwarzem Loch), wie es eben nur ein Christoph Marthaler erschaffen und beleben kann. Die Gestaltung des Raumschiffs wurde von Duri Bischoff so geschmacksneutral wie möglich erledigt… – Herrlich!

 

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