Derart gute Stimmung, ausverkaufte Plätze bis in die letzten Reihen und selbst im Rang und grosse Vorfreude auf das Stück – das gab es seit Jahren nicht mehr im Schauspielhaus Zürich. Das stellen wir direkt beim Einlass fest, das hören wir sogleich auch mehrfach von anderen Besucher:innen in den Reihen hinter uns. Und was ist der Grund? Der Geist RENÉ POLLESCHs weht (endlich wieder) durch den Pfauen und beschert uns herrlich vergnügte 90 Minuten in grandioser Besetzung…
Natürlich ist man etwas melancholisch, weil dieser grossartige Regisseur nicht mehr unter uns weilt, aber es ist kein Traueranlass, denn – was für ein grosses Glück – holt Ulrich Khuon diese Produktion aus seinem ehemaligen Haus, dem Deutschen Theater in Berlin für einige Vorstellungen nach Zürich, weil die für diese Saison geplante Pollesch-Uraufführung nun leider nicht möglich ist. Von allen Stücken, die ich von Pollesch gesehen habe, ist „Liebe, einfach ausserirdisch“ wohl das witzigste, ich habe mich schon lange nicht mehr so amüsiert. Dieser Blick auf verdrehte Frauen- und Männerbilder, dieses heftige Fabulieren zu Liebe und Sex und dem phantasmatischen Schirm und überhaupt diese ganzen Anmach-Schemata und wie das so läuft, wenn man jemanden mal kurz auf einen Kaffee in die Wohnung einlädt. Dazu und mittendrin im Geschehen ein riesiges Phallus-Symbol in Form eines Leuchtturms aka Raumschiff, mit dem die beiden Aliens wohl zur Erde, zu ihrer Mission angereist sind und – köstlich – die immer wieder zitierten Seitenhiebe auf die teuren ersten 6 Reihen und die billigen Reihen im Rang, die eben die Szenen ganz oben nur hören, aber nicht sehen können. Die wunderbare SOPHIE ROIS ist einmal mehr zum Schreien mit ihrer permanent kippenden Stimme und ihrer gnadenlosen Hysterie, das passende Pendant findet sie in TRYSTAN PÜTTER, der ebensogut einer schmalzigen Soap oder einer Rosamunde Pilcher Verfilmung entsprungen sein könnte, dazwischen die trocken-schräge KOTBONG YANG – alle Drei fast die ganze Zeit am Rande des Nervenzusammenbruchs, es sei denn sie füttern sich gegenseitig liebevoll mit Sahneschnitten oder geben eine kurze norddeutsche Treppenhaus-Sequenz. Das klingt erstmal alles etwas oberflächlich, jedoch hat dieses Stück so viel Wahrheit, Tiefe und Selbstreflexion und eine Antwort auf alle grossen Fragen des Lebens. Am Ende dieses Abenteuers verlässt man den Pfauen und möchte am liebsten gleich Tickets für eine weitere Vorstellung buchen. Mensch, René Pollesch – Du bist gegangen und einmal mehr wird klar und deutlich – was für ein grosser Verlust!
Zuletzt besuchte Schauspielproduktionen:
Frau Yamamoto ist noch da – Schauspielhaus Zürich 20.09.2024
Der Theatermacher – Berliner Ensemble/Theater Winterthur 01.06.2024
Faust I & II – Schauspielhaus Zürich 24.03.2024
Orestie – Luzerner Theater 23.09.2023
Mein Kampf – Theater Winterthur 25.05.2023
EWS – Der einzige Politthriller der Schweiz – Theater Neumarkt Zürich 01.02.2023
Die Physiker – Theater Basel 17.12.2021
King Lear – Schauspielhaus Zürich 15.12.2021
Monkey Off my Back or The Cat’s Meow – Schauspielhaus/Schiffbau 12.12.2021
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