Was für eine grossartige letzte Vorstellung der Bayreuther Festspiel-Saison 2024 – TOBIAS KRATZERs wunderbare, ja fantastische Tannhäuser-Inszenierung und NATHALIE STUTZMANNs umwerfendes Dirigat waren die Reise wert und für mich wohl die gelungenste Inszenierung, seit ich nach Bayreuth fahre und das sind immerhin 32 Jahre (oh my god, I can’t believe)…
Wie bei allen Werken Wagners hat auch der „Tannhäuser“ ein paar Längen, nicht so in Kratzers Umsetzung, hier passt einfach alles, diese 5 Stunden sind unterhaltsam von Anbeginn bis hin zu den letzten Momenten, wenn dieses grosse und bunte Chorfest zu Ende wabert, denn einmal mehr hat der nun scheidende Chordirektor EBERHARD FRIEDRICH grossartiges geleistet, dafür ist Bayreuth bekannt und nach so vielen Jahren verlässt er nun den Hügel, dafür wird er beim Applaus auch ausgiebig gefeiert – Bravo! In diesem „Tannhäuser“ vereint Kratzer alles, was eine gelungene Inszenierung braucht – sie hat Witz, ist politisch, bewegt und rührt zu Tränen, bietet ausgereifte Charaktere und Personenregie, erzählt den Plot, hat interessante Twists und dermassen famose Regie-Einfälle, dass man nur so staunt. Was für ein grossartiger Festival-Abschluss, wenn das Publikum fast einhellig hingerissen ist von dieser Umsetzung und unglaublich tollen Besetzung. Bewegend bereits zu Beginn im grossartigen und immer wieder aktualisierten Video von MANUEL BRAUN die Hommage an den verstorbenen Stephen Gould – das erlebt man in Bayreuth selten bis nie, dass es während der Vorstellung Applaus gibt. Zu sehr ist man hier immer noch alten Konventionen verhaftet. Und nach der wirklich furchtbaren und nichtssagenden letzten Tannhäuser-Inszenierung in Bayreuth von Sebastian Baumgarten (dessen Arbeit ich sonst wirklich sehr schätze!) versöhnt mich das nun mit diesem Werk. Ich kann es nur nochmals betonen – dieser „Tannhäuser“ ist eines meiner Bayreuth-Highlights der letzten 32 Jahre! Bereits während der Ouvertüre, wenn im Video Venus mit ihrer schrägen Varieté-Truppe (Tannhäuser als trauriger Clown und dazu der wunderbare LE GATEAU CHOCOLAT mit dem ebenso in jedem Moment äusserst berührenden MANNI LAUDENBACH) durch die fränkischen Wälder und Landschaften fährt, bei McDonalds einkauft, bis man dann am grünen Hügel landet, ist man schockverliebt in diese Bildwelt, in dieses Szenario, in diese fabelhaft erzählte Geschichte. Und es hat so viele grossartige Momente, etwa wenn Venus mit ihren beiden Komplizen ins Festspielhaus über den Balkon einsteigt, Festspiel-Chefin Katharina Wagner die 110 wählt und sehr amerikanisch eine Kolonne an bayerischen Polizeiwagen im Grosseinsatz das Festspielhaus stürmt oder Venus dann im 2. Aufzug im Saal der Wartburg am Sängerfest teilnimmt und alles etwas aufmischt, dazu die vielen Backstage-Momente, die über den Videoscreen zu sehen sind. Es geht um Revolution und Religion, um den Gegensatz von E-Musik (grosse Kunst = Oper) und Tingeltangel und der Tatsache, dass eben nicht immer alles schwarz und weiss, sondern das Leben facettenreich und bunt ist. Grossartig auch die Pausenshow nach dem 1. Aufzug, wo LE GATEAU CHOCOLAT den Weiher im Festspielpark bespielt und Songs zum besten gibt, das Repertoire reicht dabei von „Old man River“ (aus „Showboat“), über die Spicegirls, bis hin zu „Part of your world“ aus Disneys „Little Mermaid“ und natürlich der „Hallenarie“ aus dem „Tannhäuser“, mit der es dann nach der Pause weitergeht. LE GATEAU CHOCOLAT ist eine omnipräsente Wucht und sensationelle Bereicherung für dieses Ensemble. EKATERINA GUBANOVA in ihrem Pailletten-Catsuit ist eine grossartige Venus mit wunderbarer Stimme und herrlich spielfreudig bis in den Schlussapplaus. Absoluter Gegenpol dazu ist die eher in sich gekehrt liebende Elisabeth von ELISABETH TEIGE, sehr bewegend, mit wunderschöner Stimme, ein klein wenig stört mich (jedoch nur zu Beginn) ihr Tremolo, aber das ist Geschmacksache. Auch sie eine grossartige Darstellerin! Der Tannhäuser von KLAUS FLORIAN VOGT ist unglaublich feinfühlig und wunderbar in den lyrischen Momenten, so habe ich Vogt noch nie erlebt, voller Sensibilität und Gespür für diese Inszenierung, für diesen, ach so traurigen Clown. Man kann es fast nicht glauben, wenn er am Schluss mit Elisabeth gemeinsam in den Sonnenuntergang fährt. Ist das ein Traum oder Wirklichkeit? Man weiss es nicht, denn ich bin mir nicht sicher, ob diese tieftraurige und einsame Elisabeth, die sich ritzt und selbst verletzt, diese Tragödie ihres Lebens tatsächlich überlebt. Denn der dritte Aufzug hinterlässt – bis auf den inzwischen erfolgreichen Le Gateau Chocolat (mit eigener diamantbesetzter Uhren-Edition) im Grunde nur gescheiterte Existenzen. Vogts Romerzählung im 3. Aufzug ist definitiv eines der musikalischen Highlights dieser Vorstellung, neben dem derartig traurigen und bewegenden „Lied vom Abendstern“ des fulminanten MARKUS EICHE als Wolfram von Eschenbach. Besonders erwähnen muss man unbedingt FLURINA STUCKI (ein junger Hirt), OLAFUR SIGURDARSON (der mich bereits am Tag zuvor als Kurwenal im „Tristan“ sehr begeistert hat) als Biterolf und allen voran SIYABONGO MAQUNGO als Walther von der Vogelweide, was für eine Entdeckung! In den weiteren Rollen: JENS-ERIK AASBØ (Reinmar von Zweter), MARTIN KOCH (Heinrich der Schreiber) und als Edelknaben: SIMONE LERCH, LAURA MARGARET SMITH, ANNETTE GUTJAHR sowie lustigerweise EKATERINA GUBANOVA, die sich als Venus noch dazwischen schmuggelt. GÜNTHER GROISSBÖCKS Landgraf Hermann – mit seinem samtig-weichen Bariton – ist gediegen, kraftvoll und gefällt mir in dieser Inszenierung unglaublich gut, wie sonst auch immer. Ich bin versöhnt, nachdem ich am Vorabend von seinem König Marke im „Tristan“ etwas enttäuscht war. Und am Pult eine Offenbarung: NATHALIE STUTZMANN – ganz ehrlich, so toll habe ich den Tannhäuser noch nie gehört. Grosse Emotionen bei den Chören und gleichzeitig fast schon kammermusikalische Intimität. Ich bin hin und weg von diesem Dirigat. Verdienter Jubel am Schluss. Für alle.


Für das wunderbare Festivalorchester und den ganzen Cast. Für Eberhard Friedrich und seine grossartige Arbeit als Chordirektor über so viele Jahre. Und für das Regieteam (neben Tobias Kratzer noch RAINER SELLMAIER (Bühne und Kostüm), REINHARD TRAUB (Licht) und KONRAD KUHN (Dramaturgie) und deren wunderbare Arbeit. 2026 soll er wohl nochmals kommen, dieser tolle „Tannhäuser“, wer es schafft – nichts wie hin!
Zuletzt besuchte Musiktheater-Vorstellungen:
513: Tristan und Isolde – Bayreuther Festspiele 26.08.2024
512: Siegfried – Bühnen Bern 18.06.2024
511: I vespri siciliani – Oper Zürich 13.06.2024
510: L’Orfeo – Oper Zürich 06.06.2024
509: Wilhelm Tell – Theater St. Gallen 25.05.2024
508: El Niño – Metropolitan Opera New York 08.05.2024
507: Saint François d‘Assise – Grand Théâtre de Genève 14.04.2024
506: La Bohème – Luzerner Theater 03.04.2024
505: Die Csárdásfürstin – Oper Zürich 01.04.2024
504: Amerika – Oper Zürich 09.03.2024
503: Ernani – Theater St. Gallen 03.03.2024
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