Zeitlos und bei gewissen Themen immer noch oder wieder top-aktuell – die Erzählungen und Romane des Schweizer Autors Jeremias Gotthelf (1797 – 1854), dessen Werk jetzt in einer schönen Neuausgabe im Diogenes Verlag (wieder) entdeckt werden kann. Den Auftakt bildete ein Band mit seiner bekanntesten Erzählung „Die schwarze Spinne“…
Wer kennt sie nicht – die Novelle „Die schwarze Spinne“ von 1842? Schullektüre, verfilmt, als Hörspiel produziert und immer wieder auf der Bühne zu entdecken, zuletzt 2011 am Schauspielhaus Zürich in der Regie von Frank Castorf (ergänzt mit Texten aus Bulgakows „Der Meister und Margarita“), selbst mehrere Vertonungen dazu sind vorhanden. Und sie hat nichts von ihrer Faszination eingebüsst, denn der Kampf zwischen Gut und Böse ist ein zeitloses Thema. Eingebettet in eine Rahmenhandlung verarbeitet Gotthelf alte Sagen und verhandelt die Schuld von einzelnen Personen, aber auch die kollektive Schuld eines ganzen Ortes. Es geht um Aussenseiter und Schuldzuweisungen. Und natürlich geht es um Glauben und christliches Leben. Klar, denn Jeremias Gotthelf war das Pseudonym des Schriftstellers und Pfarrers Albert Bitzius.
In seiner berühmtesten Novelle ›Die schwarze Spinne‹ beschreibt Gotthelf die Abgründe, die sich auftun, wenn Menschen ihre Werte aufgeben zugunsten des schnellen Profits – Abgründe, aus denen jederzeit schwarze Spinnen hervorbrechen können. Doch diese packende Schauergeschichte ist längst nicht die einzige Erzählung Gotthelfs, die die Lektüre lohnt. ›Die Wassernot im Emmental‹ zum Beispiel liest sich, als wäre sie für unsere Zeit geschrieben. Wie überleben, wenn sintflutartiger Regen den Großteil der Ernte zerstört? Mit seiner sprachgewaltigen Prosa zeichnet Gotthelf das Bild einer Gesellschaft, die sich mit allen Mitteln um Fortschritt und Wohlstand bemüht und doch immer wieder den Naturgewalten unterworfen ist. (Diogenes Verlag)
Sämtliche Romane und Erzählungen in 15 Bänden erscheinen in den nächsten Jahren. Herausgegeben und kommentiert von Philipp Theisohn, mit Nachworten namhafter Autor:innen (in diesem Band von Nora Gomringer). Dieser Band enthält neben der Novelle „Die schwarze Spinne“ noch „Die Wassernot im Emmental“, „Wie fünf Mädchen im Branntwein jämmerlich umkommen“ (auch cool!), „Wie Joggeli eine Frau sucht“, „Elsi, die seltsame Magd“ sowie eine Auswahl an Kalendergeschichten und ein Glossar mit schweizerdeutschen Ausdrücken. Dem Diogenes Verlag ist es also zu verdanken, dass diese wunderbare Literatur wieder vermehrt in den Bücherregalen zu finden ist. „Die schwarze Spinne“ hat mich einmal mehr sehr in den Bann gezogen und auch die anderen Erzählungen sind ein wunderbarer Spiegel der Entstehungszeit irgendwo angesiedelt zwischen Romantik und Realismus. Das ist weder altbacken noch verstaubt, das ist wirklich lesenswerte Literatur. Sehr zu empfehlen!
„Die schwarze Spinne und andere Erzählungen“ von Jeremias Gotthelf, 2023, Diogenes Verlag, ISBN: 978-3-257-07252-5 (Werbung)
Dieser Blog-Beitrag ist ohne eine vereinbarte Zusammenarbeit mit dem Verlag entstanden. Ich habe das Rezensionsexemplar kostenfrei zur Verfügung gestellt bekommen, wofür ich mich beim Diogenes Verlag sehr herzlich bedanken möchte. Meine Meinung blieb davon in jeglicher Art und Weise unbeeinflusst.
Weitere Buch-Klassiker des 19. Jahrhunderts auf diesem Blog:
Charles Dickens – Oliver Twist
Gustave Flaubert – Madame Bovary
Emily Brontë – Sturmhöhe
Zuletzt gelesen:
Sigrid Nunez – Die Verletzlichen
Riad Sattouf – Der ARABER von morgen Band 1 – 3
E. B. White – Here is New York
Simon Froehling – Dürrst
Lukas Hartmann – Martha und die Ihren
Delphine de Vigan – Les Loyautés
Arnon Grünberg – Amour Fou
Diaty Diallo – Zwei Sekunden brennende Luft
Gabriel García Márquez – Wir sehen uns im August
Gaea Schoeters – Trophäe
2 Kommentare