Letzte Premiere der Saison an der Oper Zürich: „I vespri siciliani“ – CALIXTO BIEITO inszeniert, eigentlich beste Voraussetzung, dieses selten gespielte Werk Verdis spannend auf der Opernbühne zu erleben. Ein grosser Wurf ist es jedoch leider nicht geworden…
Ich bin in der B-Premiere, die nicht besonders gut besucht ist, viele unbesetzte Plätze zeigen, dass das Werk nicht zum Standard-Gassenhauer-Repertoire gehört und das Publikum eher abschreckt. „I vespri siciliani“ ist für mich eines der Werke, die man besser zu Hause entspannt am Sofa hört. Diese Neuinszenierung (die – wenn ich mich recht erinnere – eigentlich schon vor ein paar Jahren während Corona stattfinden sollte) bestätigt mir das einmal mehr. Es war ein äusserst blutiges Ereignis und Gemetzel, der Aufstand der Sizilianer gegen die Fremdherrschaft der Franzosen, das Verdi in „I vespri siciliani“ thematisiert. Das Libretto dazu ist nicht sehr berauschend und beginnt man die komplette Handlung der insgesamt fünf Akte zu lesen, legt man es schnell wieder beiseite und stöhnt – wer will das sehen? Kein Wunder also, setzt man das Werk äusserst selten auf den Spielplan. Und ich frage mich, macht es wirklich Sinn diese Geschichte zu erzählen, egal ob historisch oder – wie nun bei Bieito – mit einem neuen Fokus? Andererseits passt es auf die Opernbühne, Drama pur. Schade eigentlich, denn die Musik ist wirklich toll, die Partien für die Sänger allerdings nicht einfach. Calixto Bieito – dessen Arbeit ich seit seiner „Entführung aus dem Serail“ (2004 an der Komischen Oper Berlin) überaus schätze – wäre im Grunde ein idealer Regisseur für dieses blutige Gemetzel, konnte mich bei dieser Neuproduktion aber nicht überzeugen. Der Funke springt nicht über, es gibt einige wenige starke Bilder, der Rest des Abends berührt mich über weite Strecken kaum, langweilt mich etwas, trotz teils drastischer Massenvergewaltigungen an deren Ende drei geschändete Opfer mit den Füssen nach oben aufgehängt werden, zur Schau gestellte Nacktheit, Gewalt gegen Frauen, die sogar als Triggerwarnung auf der Webseite der Zürcher Oper erscheint. Wer will das so sehen? Ich kann mir das vorstellen, ich brauche das nicht so explizit, aber das ist eben Calixto Bieito. In seiner Lesart dieses Werkes gibt es nichts Gutes, alle Menschen, beide Seiten dieses Konflikts sind Böse, es ist kein Platz für Liebe, Männer sind Bestien. Das ist mir dann doch etwas zu platt und vordergründig, lässt mich kalt, auch wenn man merkt, wie sehr diese Bilder die Zuschauer irritieren, stellenweise wohl schockieren, so abgestumpft wie häufig behauptet wird, ist unsere Gesellschaft dann wohl doch nicht. Die anwesenden Jugendlichen einer Schulplatzmiete diskutieren und flüstern darüber angeregt während der Vorstellung. Es ist eine kalte und schwarz-weisse Containerlandschaft, die Bieito sich von seiner Bühnenbildnerin AIDA LEONOR GUARDIA auf die Drehbühne hat stellen lassen (das hat eine gewisse Schönheit, ich mag die Ästhetik), FRANCK EVIN hat die Szenerie hart und kalt gleissend ausgeleuchtet, nur einmal wird die Szene kurz in plakativ grün-giftiges Licht getaucht. Auf die weissen Container wird eher beliebiges Kriegsbilder-Videomaterial von ADRIÁ REIXACH projiziert, INGO KRÜGLERs belanglose Alltagskostüme sind keine grosse Hilfe, unterstützen diese Tristesse, wirken bestenfalls wie billige Mafiosi-Kostüme. Auch musikalisch überzeugt mich dieser Abend nicht wirklich: SERGEY ROMANOVSKY debütiert als Arrigo, wirkt häufig etwas verloren in dieser Regie, seine eigentlich sehr schöne Stimme kann sich nicht wirklich entfalten, hat wenig Strahlkraft für mich, könnte sich aber in dieser Spielserie durchaus noch entwickeln, warum er im vierten Akt (nach der Pause) grossenteils in dieser beengten Box (es ist wohl der Sarg von Elenas Bruder….) stehen muss, frage ich mich schon – hilfreich für die Akustik ist das nicht. IRÈNE FRIEDLI als Ninetta liefert solide ab wie immer, MARIA AGRESTA habe ich schon mit ganz anderem Drive hier in Zürich erlebt (Desdemona, Norma), ihr Stimmmaterial klingt immer noch wunderbar, dennoch habe ich den ganzen Abend über das Gefühl, sie könnte mehr – schade. Sie wirkt kalt und unbeteiligt. Die beiden weiteren grossen Männerpartien sind mit sehr schönen Stimmen besetzt, QUINN KELSEY – den man immer wieder in Zürich erleben kann – ist für mich darstellerisch überzeugend, sein schöner Bariton hat Strahlkraft und in den gemeinsamen Szenen mit seinem Sohn überträgt sich dies dann auch auf Romanovsky. Die grosse Procida-Auftrittsarie von ALEXANDER VINOGRADOV im 2. Akt ist eines der Highlights, danach erscheint er mir auch eher blass. Vielleicht ist das aber auch die Müdigkeit, die man häufig in B-Premieren auf der Bühne sieht, eigentlich keine ideale Vorstellung. Alle weiteren Rollen sind solide besetzt und wohltönend: JONAS JUD als Il Sire di Bethune, BRENT MICHAEL SMITH als Conte Vaudemont, RAÚL GUTIÉRREZ als Danieli, OMER KOBILJAK als Tebaldo, STANISLAV VOROBYOV als Roberto und MAXIMILIAN LAWRIE als Manfredo. Der PHILHARMONIA ZÜRICH fehlt bei diesem Verdi jegliche Italianita, das Orchester klingt blechern und viel zu laut, wie sehr hätte ich mir hier Noseda am Pult gewünscht (war er nicht ursprünglich sogar dafür vorgesehen?). Ich bin kein grosser Fan des Zürcher Opernchores, hier jedoch bringt er, zusammen mit Chorzuzüger:innen und dem Zusatzchor relativ gute Leistung (Einstudierung: JANKO KASTELIC). Am Pult der besuchten Vorstellung stand IVAN REPUŠIC. Trotz den teils drastischen Bildern hinterlässt diese Produktion bei mir einen faden bis langweiligen Nachgeschmack. Ich höre mir „I vespri sicilliani“ lieber wieder zu Hause an.
Zuletzt besuchte Musiktheater-Vorstellungen:
510: L’Orfeo – Oper Zürich 06.06.2024
509: Wilhelm Tell – Theater St. Gallen 25.05.2024
508: El Niño – Metropolitan Opera New York 08.05.2024
507: Saint François d‘Assise – Grand Théâtre de Genève 14.04.2024
506: La Bohème – Luzerner Theater 03.04.2024
505: Die Csárdásfürstin – Oper Zürich 01.04.2024
504: Amerika – Oper Zürich 09.03.2024
503: Ernani – Theater St. Gallen 03.03.2024
502: Die lustige Witwe – Oper Zürich Premiere 11.02.2024
501: Cosi fan tutte – Oper Zürich 28.01.2024
500: Orphée aux Enfer – Opéra de Lausanne 31.12.2023
Die Handlung dieser sehr schönen Verdi-Komposition ist halt für heutiges Empfinden eher bizarr. Höre ich mir sehr gerne (manchmal sogar beim Kochen, wenn ich drei Stunden Oper möchte!!!) zu hause an. Ich habe eine schöne Aufnahme mit Arroyo, Domingo, Milnes und Raimondi / Levine.
Mit besten Grüssen, Felix
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Naja, die meisten Libretti sind für die heutige Zeit eher bizarr, die Frage ist dann einfach, was man daraus macht… herzlichst aus dem endlich sommerlichen Zürich! A.
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