La Veronal: Sonoma – Theater Winterthur 11.11.2023

Bereits 2020 entstanden, nun erstmals auch in der Schweiz zu sehen – im Theater Winterthur, das einmal mehr einen hochkarätigen (Gast)-Spielplan zu bieten hat: „SONOMA“, ein Stück von LA VERONAL, dem Ensemble des spanischen Choreografen MARCOS MORAU – bewegend, kraftvoll, wuchtig…

„Sonoma“ ist eine weitere Produktion – ausschliesslich mit Frauen besetzt – die nach dem vorangegangenen Abend mit TANZ von Florentina Holzinger gegensätzlicher nicht sein könnte. Morau, der gemeinsam mit dem Ballett Zürich 2022 das phänomenale abendfüllende Stück „Nachtträume“ zur Uraufführung brachte gründete bereits 2005 in Barcelona seine Compagnie „La Veronal“, bei der Tanz, Bühne, Kostüm und Licht als gleichberechtigte Partner fungieren. Die Mitglieder dieser experimentellen Tanz- und Künstlergruppe stammen aus den Sparten Tanz, Film, Fotografie und Literatur – der Kern des Schaffens liegt also in der Interdisziplinarität und der Suche nach neuen Ausdrucksformen, neuen ästhetischen Möglichkeiten und Arbeitsweisen. „Sonoma“ ist dann auch stark beeinflusst vom Surrealismus der filmischen Schaffens Luis Buñuels. Es ist eine sehr bildstarke und wuchtige Arbeit, die man sofort in Spanien verortet, sie erinnert an religiöses Leben, an Prozessionen und kirchliche Rituale, es ist eine Welt, die ausschliesslich aus Frauen besteht, streng formal im Ausdruck und in der Kleiderordnung, die auch an fundamentalistische christliche Gruppierungen und Glaubensgemeinschaften mit strengen Vorschriften erinnert (Kostüme: SILVIA DELAGNEAU). Es ist eine dunkle, eine düstere 75minütige rast- und pausenlose Collage an Musiken, Tönen, Texten, Gesängen, lautem Schnaufen, Glockengeläute (grossartiges Sounddesign: JUAN CRISTÓBAL SAAVEDRA) und zuletzt noch kraftvollem Getrommel, bevor uns wieder Stille umfängt und das Saallicht angeht. Puppenähnlich gleitet das 9-köpfige rein weibliche Ensemble zu Beginn über die Bühne, bildet ein Tableau Vivant nach dem anderen, arrangiert sich einer Pietà gleich um ein riesiges Holzkreuz, verschnürt, verbindet sich damit. Die Figuren, die Kostüme wechseln, junge unschuldige Mädchen werden zu starken dominanten Frauen, kopflos, die Gesichter verborgen, alles im Dunkeln, im Geheimen, man fragt sich, ist es Traum oder Wirklichkeit was wir sehen. Kopflose riesige Anzugträger und leuchtend weisse Kugeln – das Erkennungszeichen Moraus? Zum grossen enthüllten Wandteppich erklingt Wagners Lohengrin, geht es um Erlösung, um Mystik per se? Es sind starke Bilder, starke Textpassagen, auf Französisch vorgetragen, gesungen, gemurmelt, man beobachtet fremde strenge Rituale, die fliegenden Röcke eine Mischung aus tanzenden Derwischen und volkstümlichen Bräuchen. Grossartig die Texte u.a. von Carmina S. Belda, Celso Giménez and Pablo Gisbert, neu interpretierte Texte der Bergpredigt, interessante Neudeutungen von Lobpreisungen, man muss schon genauestens hinhören bzw. mitlesen (es lebe die Übertitelung!), es lohnt sich. Ein starkes Ensemble: LORENA NOGAL, MARINA RODRIGUEZ, ARIADNA MONTFORT, NÚRIA NAVARRA, ÀNGELA BOIX, LAIA DURAN, ANNA HIERRO, ALBA BARRAL, JULIA CAMBRA.

Das Stück ist wuchtig, massig, gleichzeitig vielschichtig, voller Feingefühl und vielen zarten Momenten, es fällt schwer, dies alles zu erfassen und einzuordnen. Nach dem Trommelgetöse zum Finale – der Himmel, der weisse Plafond, senkt sich hernieder – und dem fast schon erlösenden Black mit der darauffolgenden kurzen Stille, da spürt man, wie sehr dieser Abend nicht nur den Saal sondern auch das Ensemble bewegt hat. Toll!

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