Nun ist es endlich wieder soweit: Sämtliche Kulturinstitutionen veröffentlichen ihre Saisonvorschau für 2018/2019. Man wartet gespannt und amüsiert sich. Jeder will der ERSTE sein und ich stelle mir einmal mehr die Frage – was hat sich das Marketing im Konzertbereich wieder an verrückten programmatischen Namen in stundenlangen Kreativmeetings so ausgedacht???…
Wann fing das denn eigentlich an, dass ein Konzert nicht mehr einfach nur ein Konzert war, sondern mit „Tollen Titeln“ (man beachte die Alliteration) schmackhaft gemacht werden musste? Wann fing das an, dass der Komponist oder das Werk oder die Interpreten alleine kein Zugpferd mehr waren? Seit Internet? Seit Social-Media? Seit Storytelling?
Aufgefallen ist mir das zunächst beim Tonhalle Orchester Zürich. Plötzlich hiessen die Konzerte „Orchester-Magie“, „Sing-Romantik“ oder „Vis-à-Vis“…
Aus Spass an der Freude habe ich dann etwas recherchiert und unter anderem bei den Nürnberger Symphonikern lustige Konzertprogramme entdeckt mit den einfallsreichen Namen:
„Vom Eise befreit“ – Robert Schumann: Szenen aus Goethes Faust, Ouvertüre/Sergej Rachmaninow: „Klavierkonzert Nr. 2 c-Moll op. 18″/ Edvard Grieg: „Symphonie c-Moll“
„Die Ruhe vor dem Sturm“ – Claude Debussy: „Prélude à l’après-midi d’un faune“/ Aram Chatschaturjan: „Violinkonzert d-Moll“/Jean Sibelius: „Symphonie Nr. 5 Es-Dur op. 82″
Ausserdem noch ein paar weitere Konzertabende, zu denen aber leider keine Inhalte auf der Homepage (mehr) ersichtlich waren: „Portrait 5“, „Goldener Adler, brauner Bär“ (mein Favorit! – das Programm hätte mich dann schon interessiert…), „Let’s Dance“, „Tag und Nacht“ oder „Der Förster aus dem Böhmerwald“ (nicht uninteressant)….
Auch sehr schön und heute beim surfen noch in der Nürnberger Saisonvorschau entdeckt:
„Der Berg ruft“ – Modest Mussorgsky: „Eine Nacht auf dem kahlen Berge“/Daniel Schnyder: „Alphorn-Konzert“/Joachim Raff: „Symphonie Nr. 8 A-Dur op. 205 Frühlingsklänge“
„Der Rhythmus, bei dem man mit muss“ – John Adams: „Short Ride in a Fast Machine“/Maurice Ravel: „Pavane pour une infante défunte“/Tan Dun“ „Tears of Nature, Schlagzeugkonzert“/Jules Massenet: „Suite Nr. 4 Scènes pittoresques“/Maurice Ravel: „Bolero“
Beim Beethoven-Orchester Bonn gibt es das Schlagzeugkonzert von Tan Dun ebenfalls, dort heisst es aber einfach so wie es heisst „Tears of Nature“… – da hat sich also niemand mehr etwas aus dem kreativen Ärmel geschüttelt (sondern auf das Stück vertraut)….
Die Stuttgarter Philharmoniker gehen das Thema auf eher künstlerischem Wege an, deren Chefdirigent Dan Ettinger wirbt in Modelpose locker und leger auf dem Cover des Abo-Angebotes (sex sells):
Für große Künstler ist die ganze Welt #Heimat, sagt man, doch das ist nur die halbe Wahrheit. Die Musik, die wir Ihnen in unserer Großen Reihevorstellen, erzählt faszinierende und anrührende Geschichten von Ländern und Menschen, von ihrer Heimat und von der Faszination der Ferne.
Blau ist Symbol der Unendlichkeit, die Farbe des Meeres, des südlichen Himmels, des Blues‘, und beinahe alles Blau hat ein leuchtendes musikalisches Gegenstück. Wir freuen uns, dass der Licht- und Objektkünstler Nikolaus Koliusis unser Abonnement Sextett als Artist in Residence mit seinen Kunstwerken um neue Dimensionen bereichert
(Abonnementvorschau der Stuttgarter Philharmoniker)
In Zürich lässt man sich zum Ende dieser Saison auch noch so einiges einfallen:
„Ballsport, Klavier und Orient“ – Arthur Honegger: „Rugby“/Benjamin Britten: „Klavier-konzert D-Dur op. 13″/Nikolaj Rimskij-Korsakow „Schéhérazade“ op. 35″
Nicht, dass jemand noch denkt, ich mache mich darüber lustig… – ich nehme das alles sehr ernst und versuche hinter all diesen komplizierten Programmtiteln und Symboliken einen tieferen Sinn zu finden. Den hat es sicherlich, dafür werden ja ganze Abteilungen bezahlt. Und ausserdem sind das Marketing-Grundlagen – die AIDA-Formel lässt grüssen (Attention – Interest – Desire – Action), ach ja und auch noch die KISS-Methode (Keep It Simple and Stupid). Die Verkaufszahlen werden nach oben schnellen.
Aber neben der Kommunikation bzw. dem Marketing hat auch das Ticketing der Nürnberger Symphoniker noch ein paar super Ideen beigesteuert (yes!!!) und das ist auch schon mein Konzert-Marketing-Highlight für die kommende Saison: Nürnberg wirbt mit einem neuen flexiblen Abonnement: „Flexy ist das neue Sechsy“ – diese Abo würde ich keinesfalls nehmen, aber was habe ich gelernt: Nürnbergs Kulturschaffende sind die kreativsten Köpfe in diesem Kuchen!
Nürnberger Symphoniker – Nürnberg
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