Siegfried – Bühnen Bern 18.06.2024

Auch in Bern ist „Der Ring des Nibelungen“ nun auf der Zielgeraden zur finalen „Götterdämmerung“, die in der kommenden Saison 2024/25 Premiere haben wird. Regisseurin EWELINE MARCINIAKs dritter Abend der Tetralogie ist alles andere als langweilig angelegt und doch hat man stellenweise das Gefühl, dass er kein Ende nimmt. Insgesamt jedoch ist dieser besetzungstechnisch sehr männerlastige Abend – aus weiblicher Sicht auf die Bühne gebracht – nicht uninteressant…

Nach „Rheingold“ und „Walküre“ nun also mein persönlicher Favorit der vier Abende. Ich war schon immer grosser „Siegfried“-Fan, bietet er für meinen Geschmack doch die vielseitigsten Musiken und spannendsten Momente in diesem Epos. Und in Bern zudem noch ein Wiedersehen mit CLAUDIO OTELLI als Wanderer! Marciniak geht unbelastet mit Wagner und diesem bleiernen Ring-Pathos um – frech, jung und locker nimmt sie alles nicht so furchtbar ernst. Das war schon an den ersten beiden Abenden absolut erfrischend und eröffnete neue Sichtweisen. Mimes Stube hat etwas von einer grüngefliesten Grossküche oder einer ausrangierten Badeanstalt, Fafners Behausung ist bereits im dunklen Hintergrund angedeutet, später fragt man sich, was soll das sein? Ein grosser Salatkopf, verstrahlt leuchtender Giftmüll? Es ist egal, denn es sieht interessant aus (Bühne: MIREK KACZMAREK) und bietet später das ideale Setting vor der Neidhöhle: ein Techno-Rave im Wald, es wird getrunken und getanzt, der Hornist mit dem Hornruf gibt – als absoluter Fremdkörper im schwarzen Frack – inmitten all dieser verstrahlten Partypeople (Kostüme: JULIA KORNACKA), inmitten dieser jungen und lebensfrohen Welt ohne grossen Wagner-Pathos, ein Solokonzert (CHRISTIAN HOLENSTEIN, leider etwas unsauber). Sehr schön auch, der aus dem Schnürboden hängende dunkle, fast schon bedrohlich wirkende Walkürenfelsen im 3. Aufzug, davor ein weiteres haften bleibendes Bild: Erda mit den drei Nornen, etwas verschlafen und eingekuschelt in cremefarbene Duvets, bevor es die letzte Begegnung mit dem Wanderer/Wotan gibt. Und dann die Konfettikanone beim Gelächter Alberichs zu Mimes Tod – es sind viele gute Ideen und Kleinigkeiten, die diesen doch sehr langen Abend so unterhaltsam machen. Leider jedoch: die Tänzer:innen – wie schon bei der „Walküre“ omnipräsent, eigentlich eine schöne Idee, aber viel zu inflationär und dann irgendwann auch ziemlich nervig. Als hätte Marciniak kein Vertrauen in die Musik, als müsste sie mit diesem Aktionismus Leerstellen füllen. Hier wäre weniger mehr gewesen, denn die Musik erzählt ja viel (nicht alles!). Zudem gibt es vor allem im Siegfried sehr schöne intime Momente und Begegnungen, die aber durch die permanente Aktion der Tänzer:innen (Choreographie: MIKOLAJ KARCZEWSKI) nicht wirklich stattfinden konnten. JONATHAN STOUGHTONs Siegfried ist speziell, er ist kein Held, er ist ein naiver, etwas eigenbrötlerischer Bastler und Heimwerker, der es wohl eher zufällig schafft, die zerbrochenen Teile Nothungs wieder zusammenzuschweissen. Seine Stimme bietet vielseitiges Material und klingt auch nach den ersten Stunden zum grossen Finale mit Brünnhilde immer noch ausgeruht und kraftvoll. An seine Textverständlichkeit könnte er jedoch durchaus noch arbeiten. STÉPHANIE MÜTHERs Brünnhilde ist durchaus eine Idealbesetzung, klingt selbst in den finalen Tönen nicht schrill und unangenehm, gemeinsam mit Stoughton eine gute Paarung! Mime ist mit THOMAS EBENSTEINs bestens disponiertem Tenor super besetzt, sein Credo: Ausdruck vor Wohlklang, das ist für diese Rolle sicherlich nicht die schlechteste Entscheidung und absolut stimmig in den langen gemeinsamen Szenen mit Siegfried und dem Wanderer im ersten Aufzug. Otellis Wanderer ist souverän und zeugt von langjähriger Erfahrung, als etwas abgehalfteter ehemaliger Raver in giftgrünen Trainingshosen verströmt sein immer noch wohlklingender Bassbariton eine tiefe Wärme und Reife und diese glaubhafte Resignation, mit der er als Wanderer nun die Welt durchstreift. Sehr gut gefallen hat mir der Alberich von ZOLTAN NAGY – sehr schöne Stimme und tolle Präsenz! Auch die weiteren Rollen sind mit FREYA APFFELSTAED als Erda (mit schöner, fundierter Tiefe…), CHRISTIAN VALLE als Fafner und PATRICIA WESTLEY als quirliges Waldvöglein durchwegs hervorragend besetzt. Am Pult des BERNER SYMPHONIEORCHESERS stand NICHOLAS CARTER, dessen Klangwelten mir erneut sehr gut gefallen und für das Ensemble wohl ein Glücksfall sind – absolut sängerfreundlich. Grossartig, wie er diese vielen wechselnden Stimmungen hervorhebt und auslotet, man kann es so häufig nicht nur hören sondern auch in allen Klangfarben förmlich sehen – dieses hektische Geplapper Mimes, dieses Verschlafene Fafners, diese Tiefe, in die der Wanderer Erda hinabschickt oder diese leuchtenden Höhen im grossen Finale. Und dennoch erneut: die Dynamik ist viel zu laut für das kleine Berner Haus, wie erschlagen verlasse ich den Saal um zurück nach Zürich zu fahren. Erfrischend finde ich das Konzept, dass es zwar „irgendwie“ einen roten Faden in der Regie gibt, dennoch jeder Abend auch einzeln betrachtet werden kann, dies spiegelt sich auch in der Besetzung wieder, die immer wieder mit neuen interessanten Entdeckungen aufwartet, wie beispielsweise Yanhua Liu als Brünnhilde in der „Walküre“ oder Robin Adams als Alberich im „Rheingold“ (Adams finde ich sowieso überragend! Zuletzt unglaublich toll im Genfer „Saint François d’assise„).

Ich habe heute mein Ticket für die „Götterdämmerung“ im Frühjahr 2025 gekauft und bin schon sehr gespannt auf die Brünnhilde von Claude Eichenberger. Auch habe ich nicht das Gefühl, dass man in Bern nach Vollendung der Tetralogie eine anschliessende zyklische Aufführung plant. Die besuchte Vorstellung war sehr schlecht besucht, offenbar weiss das Berner Publikum eine derartige Höchstleistung ihres Hauses nicht wirklich zu schätzen, shame on you…

Zuletzt besuchte Musiktheater-Vorstellungen:

511: I vespri siciliani – Oper Zürich 13.06.2024

510: L’Orfeo – Oper Zürich 06.06.2024

509: Wilhelm Tell – Theater St. Gallen 25.05.2024

508: El Niño – Metropolitan Opera New York 08.05.2024

507Saint François d‘Assise – Grand Théâtre de Genève 14.04.2024

506: La Bohème – Luzerner Theater 03.04.2024

505: Die Csárdásfürstin – Oper Zürich 01.04.2024

504: Amerika – Oper Zürich 09.03.2024

503: Ernani – Theater St. Gallen 03.03.2024

Diesen Beitrag von arcimboldis_world kommentieren