Bereits im Sommer 2023 in aller Munde, aber eher wegen der Fördergesuchs-Posse beim Kanton Basel-Stadt, als wegen seines Inhalts – der nun im Galiani Verlag Berlin erschienene Roman „Fast wie ein Bruder“ von Alain Claude Sulzer…
Liest man den nun fertigen Roman, so erscheint einem diese Debatte um das von Sulzer mehrfach verwendete Wort „Zigeuner“ als absolute Provinzposse, auch wenn die Behörden heute in hohem Maß politisch wach und engagiert gegen – vor allem rassisistische, soziale, sexistische – Diskriminierung vorgehen müssen, was ja gut und richtig ist. „Fast wie ein Bruder“ handelt von der lebenslang andauernden Jugend-Freundschaft zweier Männer mit unterschiedlichen Lebensentwürfen und sexueller Orientierung. Frank stirbt jung an AIDS, der Ich-Erzähler, ein renommierter Kameramann, Mitte 60, blickt zurück, es kommt zu einer überraschenden, konstruiert wirkenden Wiederbegegnung mit Frank in Form seines Werkes.
Im Ruhrgebiet der Siebziger wachsen sie auf wie Brüder. Doch anders als den Ich-Erzähler zieht es Frank früh hinaus in die Welt: Er will als Künstler leben, geht nach New York, malt wie besessen, jedoch ohne Erfolg. Erst als er unheilbar krank ist, kehrt er zurück. Nach langer Zeit begegnen sich die Freunde am Sterbebett zum letzten Mal. So unterschiedlich ihre Lebensläufe, so tief ist die in der Kindheit geknüpfte Verbindung. Und so landen die Bilder aus Franks Nachlass von nun an gut verpackt in der Remise des Erzählers – dem nicht nur Franks Homosexualität stets fremd geblieben ist, sondern auch dessen Kunst. Jahrzehnte später entdeckt er die Bilder zufällig in einer Galerie. Rätselhaft, wie sie dort hingelangt sind – und welch eigentümliche Anziehungskraft sie besitzen: Die Kunstwelt feiert den unbekannten Maler als Genie, und auch der Erzähler erkennt endlich die Faszination, die von den Werken des Freundes ausgeht. Und mehr noch: Im großformatigen Gemälde eines nackten Mannes erkennt er sich selbst. (Galiani Verlag Berlin)
Der Plot klingt interessant, erscheint mir jedoch schon nach wenigen Seiten sehr plakativ und voller Plattitüden und Klischees, über die ich – als schwuler Mann – nur mit den Augen rollen kann. Das Thema AIDS wird für meine Begriffe sehr weichgespült behandelt und hat keinesfalls die aufwühlenden und sehr berührenden Momente, wie etwa Rebecca Makkais Roman zu dieser schwierigen Zeit „Die Optimisten„. Die Lebendigkeit der Figuren, wie etwa in Sulzers letztem Roman „Doppelleben“ über die Brüder Goncourt, fehlt mir hier – beide Protagonisten berühren mich nicht, wirken konstruiert, kalt, unsympathisch, das manifestiert sich beim Ich-Erzähler auch in dessen Privatleben, einer auseinander gelebten, belanglos wirkenden, nichtssagenden Ehe. Vielleicht ist der Text aber auch so gedacht. Er plätschert sanft und still und leise dahin. Und auch wenn ich mich sonst nie zu einem Buchcover äussere – hier muss ich es tun: Es ist komplett misslungen, erinnert an ein Kinder- oder Jugendbuch. Bei aller Kritik an diesem Roman, hat mich die Geschichte dennoch gepackt, mich die halbe Nacht bis zur letzten Seite durchlesen lassen. Unterm Strich jedoch ist der neue Roman von Alain Claude Sulzer eher enttäuschend, fast ein wenig banal. Den Twist der letzten Seiten des Romans finde ich interessant – das versöhnt mich etwas mit dem Text.
„Fast wie ein Bruder“ von Alain Claude Sulzer, 2024, Galiani Verlag Berlin, ISBN: 978-3-86971-294-9 (Werbung)
Dieser Blog-Beitrag ist ohne eine vereinbarte Zusammenarbeit mit dem Verlag entstanden. Ich habe das Rezensionsexemplar kostenfrei zur Verfügung gestellt bekommen, wofür ich mich beim Galiani Verlag Berlin sehr herzlich bedanken möchte. Meine Meinung blieb davon in jeglicher Art und Weise unbeeinflusst.
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