Sheng Keyi – Die Gebärmutter.

Hier bei uns ist sie noch gänzlich unbekannt: Die chinesische Autorin Sheng Keyi. Mit ihrem Roman „Die Gebärmutter“, der bereits 2019 im Original erschien und nun bei Dumont endlich auch auf Deutsch verlegt ist, dürfte sich das ändern. Mit diesem Werk wirft sie einen kritischen Blick auf die chinesische Gesellschaft. Beim Lesen wird klar, warum einige ihrer Bücher in China verboten sind…

Sheng Keyi wurde 1982 in der Provinz Hunan geboren und zog in den Neunzigerjahren nach Peking. „Die Gebärmutter“ ist ein starkes Buch, es ist eine sehr starke Geschichte, mit denen die Autorin Tabus bricht. Im Mittelpunkt steht quasi ein weibliches Organ – „Die Gebärmutter“. Ein Satz dieses Romans bringt es für mich dann auch auf den Punkt: „Eine Frau hat zu ihrer Gebärmutter ein Leben lang eine enge Verbindung, sie ist das Barometer der weiblichen Gesundheit.“ (Seite 317). Und so dreht sich dann auch vieles – nicht alles – in diesem lesenswerten Roman um Fragen der vom Staat geregelten Fortpflanzung, um Abtreibung, um Verhütung und vielen daraus resultierenden Fragestellungen.

›Die Gebärmutter‹ erzählt das Schicksal der Frauen einer Familie, die während des 20. und 21. Jahrhunderts in einem Dorf in der chinesischen Provinz Hunan aufwachsen. Großmutter Qi ist in der Qing-Dynastie groß geworden. Als Mädchen hat man ihr die Füße gebunden, nun kann sie sich nur trippelnd fortbewegen. Schon in jungen Jahren verliert sie ihren Ehemann, unterdrückt fortan all ihre eigenen Bedürfnisse und wird darüber zu einer harten, kalten Frau. Ihre Tochter Wu Aixiang wird ebenfalls jung Witwe und kümmert sich allein um ihren Sohn und die fünf Töchter. Zu ihrem schweren, entbehrungsreichen Leben treten gesundheitliche Probleme, deren Ursache eine nach der Geburt ihrer letzten Tochter zwangsweise eingesetzte Spirale ist. Und auch das Leben von Wu Aixiangs Töchtern wird durch die Familienpolitik der Regierung und die Frage der Fortpflanzung bestimmt. Als die Tochter des einzigen Sohnes von Wu Aixiang – die vierte Generation der Familie – ungeplant schwanger wird, diskutiert ein Familienrat, ob sie das Kind bekommen soll. (Dumont Verlag)

Es braucht eine gewisse Zeit (trotz Stammbaum der Familie am Anfang des Buches) bis man sich bei den vielen ähnlich klingenden Namen zurechtfindet und sich die Konstellationen merken kann. Es ist interessant zu sehen, wie sich Fragen, Probleme und deren Lösungen von Generation zu Generation verändern. Und man erhält einen guten Einblick in die chinesische Gesellschaft, deren Konflikte, die eben häufig am Körper der Frau ausgetragen werden. Es geht aber auch um selbstbestimmtes Leben, neue Beziehungsmodelle und Lebensentwürfe und die persönliche Freiheit an sich. Es würde unserer Gesellschaft helfen, wenn möglichst viele Männer dieses Buch lesen.

„Die Gebärmutter“ von Shang Keyi, 2023, Dumont Verlag, ISBN: 978-3-8321-6805-6 (Werbung)

Dieser Blog-Beitrag ist ohne eine vereinbarte Zusammenarbeit mit dem Verlag entstanden. Ich habe ein Rezensionsexemplar kostenfrei zur Verfügung gestellt bekommen, wofür ich mich beim Dumont Verlag sehr herzlich bedanken möchte. Meine Meinung blieb davon in jeglicher Art und Weise unbeeinflusst.

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