Nagano/Ott/Eriksmoen: Ives/Dessner/Mahler – Tonhalle Zürich 18.01.2024

Erstes Konzert des neuen Jahres – die grandiose Uraufführung des Klavierkonzerts von BRYCE DESSNER mit ALICE SARA OTT und dem TONHALLE ORCHESTER ZÜRICH unter KENT NAGANO, dazu der fast-schon-Konzert-Klassiker „The unanswered Question“ von Charles Ives und Mahlers Vierte mit MARI ERIKSMOEN in der Sopranpartie des 4. Satzes….

Nach den bisherigen Konzerten mit Werken des Creative Chairs – Inhabers 2023/2024 Bryce Dessner war die Vorfreude und Spannung gross auf diese Uraufführung. Und Kent Nagano am Pult bietet meistens eine spannende Musikauswahl (z.B. 2015: Werke von Georg Friedrich Haas, Mischa Käser, Anton Wicky und Anton Bruckner oder zuletzt 2023: Werke von Johann Sebastian Bach, Toshio Hosokawa und huh, schon wieder Anton Bruckner). Das Konzert beginnt also mit dem immer wieder schön zu hörenden und nur 6 Minuten dauernden „The unanswered Question“ von Charles Ives. An einem Winterabend mit überwiegend hüstelndem Publikum kann dieses doch sehr filigrane und stille Werk seine bezaubernde Wirkung nicht entfalten, von einer guten Einspielung zu Hause in aller Ruhe hat man wohl mehr davon. Schade, dennoch ein guter Einstieg, bevor Alice Sara Ott das Podium betritt und mit Dessners packender Uraufführung loslegt, bereits die ersten perlenden schnellen Läufe begeistern mich sehr. Ja, das ist Dessner, rhythmisch und mitreissend und nicht allzu kopflastig. Das ist Musik, die man im Grunde genommen mögen muss, ohne dass man sie als gefällig bezeichnen könnte. Dessners Klavierkonzert ist neben Alice Sara Ott auch seiner Schwester Jessica Reese Dessner gewidmet, einer Tänzerin und Choreographin. Dessner sagt dazu: „Jeder Satz meines Klavierkonzerts ist direkt von meiner Schwester, ihrem Leben und ihrer künstlerischen Praxis angeregt. Die drei Sätze hatten während der Monate, in denen ich komponierte, jeweils einen Arbeitstitel, der bestimmte Inspirationsquellen widerspiegelt. Der erste Satz hiess „How to dance“…Der zweite Satz hiess „How to breath“ und hat eine sanfte Qualität und Stille in der Musik…Das Finale, das ich „How to feel“ genannt habe, ist der abwechslungsreichste der drei Sätze und auch der virtuoseste“ (entnommen dem Programmheft). Dieses neue Werk Dessners bietet alles, von lyrischen, langsamen Momenten bis hin zu stark rhythmisch geprägten Sequenenzen, kraftvoll und energetisch. Bravi!

Charles Ives: „The unanswered Question“ – Bryce Dessner: Klavierkonzert (Uraufführung) – Gustav Mahler: Sinfonie Nr. 4 G-Dur

Nach der grandiosen Uraufführung von Dessners Klavierkonzert, bleibt dann mit dem Mahler ein etwas schaler Nachgeschmack. Mit den beiden österreichischen Sinfonikern Bruckner und Mahler wurde ich noch nie wirklich warm und es ist mir nach jedem Konzert ein Rätsel, was diese Begeisterung auslöst, diese Sinfonien sind mir (fast) alle zu wuchtig, zu schwülstig (vor allem beim erzkatholischen Bruckner) und definitiv zu lang. Mahlers Vierte ist aber nicht uninteressant, ist man noch verblüfft beim irgendwie seltsamen „es tanzt ein Bi-Ba-Butzemann“-Thema im ersten Satz, kann man die Ruhe und Stille im schönen Adagio des dritten Satzes geniessen. Dazwischen immer wieder interessant zu sehen und zu hören, einzeln gezupfte und gestrichene dissonante Klänge der 1. Konzertmeistern JULIA BECKER mit ihren beiden abwechselnd gespielten Instrumenten (by the way: Bravi an alle Solist:innen dieses Konzertes…). Und dann erwartet man (wie meistens) ein fulminantes Finale im 4. Satz und was kommt? Dieser eigenartige Schlusssatz mit einer Liedvertonung aus „Des Knaben Wunderhorn“ (Sammlung von Arnim/Brentano), die einen mit dieser irgendwie falschen Stille aus dem Konzert entlässt.

Das ist zwar einmal mehr eine schöne Irritation, zumal MARI ERIKSMOENs Sopran wohlklingend, stellenweise fast schon betörend daher kommt – während sie von geschlachteten Lämmlein, elftausend tanzenden Jungfrauen und dem Metzger Herodes singt – aber eben: Charles Ives und Bryce Dessner hätten mir vollends gereicht…

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