L’Orfeo – Oper Zürich 06.06.2024

Mit „L’Orfeo“ gibt es nun eine weitere Monteverdi-Oper am Zürcher Haus zu sehen, EVGENY TITOV hat inszeniert, am Pult steht mit OTTAVIO DANTONE ein grosser Kenner dieser Epoche…

Nach einer eher anstrengenden Woche hetze ich also an einem Donnerstagabend in die Oper, weil ich nun einmal diese Karte vor langer Zeit gekauft habe, am nächsten Tag steht eine kurze Reise nach Italien an, ich bin gestresst und habe nicht wirklich Lust und Muse, aber nach den gut zwei Stunden Spieldauer bin ich absolut gechilled und denke mir – was für eine schöne Produktion. Die Musik und die Umsetzung haben mir ein Gefühl der Ruhe und des Friedens vermittelt, diese sehr sphärischen Klänge haben offenbar mein limbisches System angesprochen und beruhigt. Ich hatte immer noch die grossartige „L’incoronazione di Poppea“ im Ohr, wie komplett anders kommt dieser „L’Orfeo“ daher, eine komplett andere, ja neue musikalische Welt eröffnet sich mir. Wie bereits bei seiner Inszenierung von „Lessons of Love and Violence“ schafft es Titov auch bei dieser Inszenierung mit starken Bildern und ohne grosses Brimborium die Geschichte packend zu erzählen. Seine Bühnenbildnerinnen CHLOE LAMFORD und NAOMI DABOCZI haben einen düsteren, dunklen, felsigen, schroffen Raum erschaffen, bei dem kein Gefühl von Lebensfreude aufkommt, bei dem man von Anbeginn das Gefühl hat, bereits in der Unterwelt zu sein. Und vielleicht ist es das auch, das ganze Leben eine Hölle. Umso fremdartiger und falsch erscheint einem an diesem Ort die Hochzeit von Orfeo und Euridice, in dessen Düsternis die grelle Hochzeitsgesellschaft platzt, um auf dem grellweissen Sarg der Braut das Festmahl einzudecken. Und später dann in der Unterwelt lodern keine Höllenfeuer, es ist kalt, karg, ein enger und beengender, fast schon klinischer Raum. All diese Bilder sind imposant, stark, bleiben haften. Grossartig das Tor mit Carontes Kopf, der durch den betörenden Gesang von Orfeo schläfrig wird und so den Zutritt in die Unterwelt für den Bräutigam ermöglicht – mich begeistert der wunderbare Bass von MIRCO PALAZZI (der auch noch den Plutone singt). Von Anfang an ist klar – das gibt kein Happy End und so überrascht es nicht, dass trotz der glamourösen Erscheinung von Apollon (MARK MILHOFER) als Deux ex maschina, Orfeo nicht anders kann, als seinem Leben ein Ende zu setzen. Das letzte Bild mit dem Chor und seiner lieblichen Musik (postiert in den Proszeniumslogen) und dem finalen Schuss Orfeos ist ein äusserst schockierender Schlussmoment, die Stille hallt lange nach, bevor der wohlverdiente laute Schlussapplaus einsetzt, um diese grossartige Produktion zu feiern. Bereits zu Beginn betört JOSÈ MARIA LO MONACO im silbrig glänzendem Outfit (tolle Kostüme von ANNEMARIE WOODS!) und schöner Stimme als La Musica, sphärisch, traumwandlerisch, wie aus einer anderen Welt. Euridice hat bei Monteverdi nicht allzu viel zu singen, das ist fast schade, denn MIRIAM KUTROWATZ samtiger Sopran macht sofort Lust auf mehr. Die Leading Role des Orfeo ist mit KRYSTIAN ADAM hervorragend besetzt, ursprünglich war hierfür Thomas Erlank vorgesehen, der aber (leider) mittlerweile aus dem Dunstkreis der Oper Zürich verschwunden ist. Adam singt diese sehr umfangreiche Partie mühelos und kraftvoll, seine Darstellung ist überzeugend, glaubhaft und sehr bewegend. Wunderbar gefällt mir neben aller Wut über den Tod Euridices diese durchschimmernde Zartheit in vielen Momenten. Sämtliche weiteren Rollen sind hervorragend besetzt: SIMONE MCINTOSH (La Speranza/Proserpina), ISABEL PFEFFERKORN (Ninfa), MASSIMO ALTIERI (1. Pastore), LUCA CERVONI (2. Pastore), TOBIAS KNAUS (3. Pastore) und YVES BRÜHWILER (4. Pastore). Der Chor klingt grossartig, kein Wunder, denn es ist nicht der Zürcher Opernchor, sondern die ZÜRCHER SING-AKADEMIE in der Einstudierung von MARCO AMHERD. Was für ein immenser qualitativer Unterschied zum Haus-Chor, der mich wirklich nur äusserst selten überzeugt. Das ORCHESTRA LA SCINTILLA mit OTTAVIO DANTONE am Pult webt einen wundervollen Klangteppich, den man gar nicht mehr verlassen möchte, so einlullend beruhigend mit betörend zarten Momenten und doch voller Frische höre ich diese alte Musik Monteverdis und mir eröffnen sich komplett neue Klangfarben und -Gebilde. Schön ist das!

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