Oh, was für eine tragische Geschichte, die mich sofort gepackt und nicht mehr losgelassen hat – der erste Roman des französischen Schriftstellers Guy de Maupassant, der 1883 zunächst als Fortsetzungsroman in der Zeitschrift „Gil Blas“ erschien und noch im selben Jahr als Roman unter dem Titel „Une vie“ – grossartig!
In „Ein Leben“ schildert Maupassant die sehr bewegende und tragische Lebensgeschichte von Jeanne, einer jungen Frau im ländlichen (und doch feudalen) Frankreich des 19. Jahrhunderts. Er schildert das Leben mit all seinen Höhen und Tiefen und die tragische Suche der Protagonistin nach Glück und Erfüllung in einem eher leeren und fast schon inhaltslosen Leben. Eigentlich wollte ich „Une vie“ bereits im letzten Sommer lesen, als wir in der Normandie unterwegs waren, denn genau dort ist dieser Roman auch angesiedelt und man liest von den wundervollen Küstenorten Fécamp oder Étretat…
Ein feudales Landgut an der Küste der Normeandie zu Beginn des 19. Jahrhunderts: Frisch aus der Klosterschule entlassen, kann die 17-jährige Jeanne es kaum erwarten, die romantische Liebe kennenzulernen, und ist entzückt, als der gut aussehende Julien de Lamare sie zur Frau erwählt. Doch schon die Hochzeitsnacht ist ein Schock für die zu Naivität und Unmündigkeit erzogene Jeanne. Während der Flitterwochen auf Korsika findet sie zwar allmählich mehr Gefallen an den ehelichen Pflichten, muss zugleich aber feststellen, dass sie einen unerträglichen Geizhals geheiratet hat. Dies sind indes nur die ersten in einer langen Reihe von Enttäuschungen… (mare Verlag)
Direkt von Anbeginn entfaltet der Roman eine Sogwirkung, der man sich nicht entziehen kann, man nimmt teil am Leben von Jeanne, man leidet mit ihr, ihrem tragischen Schicksal und den vielen Unausweichlichkeiten, die man nahen sieht. Man nimmt Teil an dieser Hilflosigkeit, an diesen Herausforderungen Jeannes, welche die Konventionen dieser Zeit mit sich bringen und gleichzeitig ist dieser Text eine fast schon universelle Betrachtung, was Glück, Identität und Erfüllung im Dasein für Menschen der damaligen Zeit bedeutet. Der Roman ist ebenfalls ein Zeitdokument, festgehalten von einem der wichtigsten Vertreter des französischen Naturalismus und man spürt die gesellschaftlichen Umbrüche des 19. Jahrhunderts in jedem Kapitel. Das ist hochinteressant, sehr psychologisch und mitreissend, auch zur heutigen Zeit noch ein echter Pageturner, den man – obwohl alles irgendwie abzusehen ist – nicht weglegen mag, so viel Spannung, Tragik und literarische Schönheit in einem. Wunderbar!
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