Mit der aktuellen Neuerscheinung „Von guten Eltern“ endet die North-Bath-Trilogie von Richard Russo, einem meiner absoluten Lieblingsautoren. Kurz und bündig: auch dieser Roman ist ein absoluter Page-Turner und zeichnet ein deutliches Bild der amerikanischen Provinz, dazu bietet er einmal mehr wunderbare erzählerische Details und ein Wiedersehen mit skurrilen und liebenswerten Figuren der ersten beiden Bände…
Nach den beiden Romanen „Ein grundzufriedener Mann“ („Nobody’s Fool“), der mit Paul Newman verfilmt wurde und „Ein Mann der Tat“ („Everybody’s Fool“) erzählt „Von guten Eltern“ („Somebody’s Fool“) den Plot der ersten beiden Romane weiter, bringt neue Aspekte, vertieft einige der Figuren und ihre Geschichte. Eigentlich fast schade, wurde Richard Russo hierzulande erst vor ein paar Jahren entdeckt und lobenswerterweise vom DuMont-Verlag verlegt. Ich möchte sein Werk in meinem Bücherregal nicht missen.
North Bath, Upstate New York, steht vor großen Veränderungen: Die Kleinstadt ist eingemeindet worden. Obendrein taucht in einem Hotel genau in der Mitte zwischen North Bath und Schuyler Springs – dem Annektierer – eine Leiche auf. Polizeichefin Charice Bond, die erste Schwarze Frau auf diesem Posten, ist aufs Äußerste gefordert, nicht nur weil sie ihren Ex (und ehemaligen Vorgesetzten) zur Aufklärung des Falls hinzuzieht. Unterdessen arbeitet sich College-Professor Peter Sullivan immer noch an seinem verstorbenen Vater ab – und sieht sich gleichzeitig mit der zerrütteten Beziehung zu seinem Sohn Thomas konfrontiert. Am anderen Ende von North Bath kämpfen Ruth und ihre Tochter Janey darum, ihre Familie zusammenzuhalten. Inmitten all dessen rätseln die Bewohner der Stadt, was es mit der nicht zu identifizierenden Leiche auf sich hat. Wer von ihnen könnte unbemerkt verschwunden sein? (DuMont Verlag)
Auch wenn „Von guten Eltern“ ein Amerika zeigt, wie es wohl tatsächlich ist – man liest von heruntergekommenen Kleinstädten und der fortwährend sinkenden Lebensqualität in der tiefsten Provinz – liest man auch von stetiger Zuversicht, dass sich alles wieder zum Guten wenden wird. Es geht um das Prinzip Hoffnung. Und es geht um sich wiederholende Muster in Familien und wohl auch die (manchmal bittere) Erkenntnis, dass wir unseren Eltern ähnlicher sind, als wir uns das eingestehen wollen. Russos Figuren sind häufig schrullige Loser, die ihr Leben nicht auf die Reihe bekommen, dennoch Sympathieträger, bei denen man immer das Gefühl hat, sie wohnen gleich um die Ecke. Seine Romane spielen in der Regel in der tiefsten Provinz Amerikas, die man besser schnellstmöglich verlässt, um in eine der grossen Metropolen zu ziehen – heute würde man wohl sagen, dass Trump in diesen Orten seine Wählerschaft hat, konservativ, unzufrieden, vom Leben abgehängt. Neben einer guten Geschichte bieten Russos Romane immer viel Witz, Authentizität und einen Bezug zu politischen Themen wie strukturellen Rassismus, Landflucht oder Polizeigewalt. Und obwohl eine dieser schrägen Figuren – Donald „Sully“ Sullivan – schon lange tot ist, spukt er in diesem dritten Band präsenter denn je. Das Schöne an Russos Romanen ist die Tatsache, dass es zumeist dicke Bände sind, das Lesevergnügen also etwas andauert. Und er im Gegensatz zu vielen anderen amerikanischen Autoren (und noch schlimmer den meisten amerikanischen Filmen und Serien) auf ein kitschiges Happy End verzichtet. Möge er uns noch viele weitere Romane bescheren!
„Von guten Eltern“ von Richard Russo, 2024, DuMont Verlag, ISBN: 978-3-8321-6813-1 (Werbung)
Dieser Blog-Beitrag ist ohne eine vereinbarte Zusammenarbeit mit dem Verlag entstanden. Ich habe ein Rezensionsexemplar kostenfrei zur Verfügung gestellt bekommen, wofür ich mich beim DuMont Verlag sehr herzlich bedanken möchte. Meine Meinung blieb davon in jeglicher Art und Weise unbeeinflusst.
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