Lukas Hartmann – Martha und die Ihren.

Mit seinem neuen Roman „Martha und die Ihren“ beweist Lukas Hartmann einmal mehr, dass er zu den ganz grossen Schweizer Autoren gehört. Sensibel und einfühlsam und doch mit einer sehr klaren, umemotionalen Kraft greift er in diesem Roman das dunkle Kapitel der Verdingkinder auf und erzählt die Geschichte seiner Grossmutter, seiner Familie bis zu seiner eigenen Generation…

Es ist eines der grossen Traumata der Schweiz: Die Verdingkinder. In diesem autofiktionalen Roman von bilden sie die Grundlage sämtlicher Befindlichkeiten in der Familie. Die Geschichte beginnt mit der Kindheit von Hartmanns Grossmutter Martha, die einzige Person, die in diesem autobiographischem Roman den echten Namen trägt, wie Hartmann im Nachwort schreibt, da er zu stark mit seinen Erinnerungen und den Besuchen bei ihr im Altersheim verknüpft ist, als dass er ihn ändern konnte. Und so bleibt dann auch gleich zu Beginn eine Gedanke von Martha haften, der mich als Leser den kompletten Roman über begleitet: „Die Kinder werden verdingt, auch das ist ein neues Wort für Martha. Später wird sie den­ken, dass das Wort ja stimmt, sie sind zu Dingen geworden.“ Das ist hart und diese Tatsache bestimmt das ganze Leben sowohl Marthas, als auch deren Kinder und schlussendlich Enkelkinder, also der Generation Hartmanns.

Ein Dorf in der Nähe von Bern, Anfang des 20. Jahrhunderts. Nach dem Tod von Marthas Vater kann die Mutter die sechs Kinder nicht mehr ernähren. Sie werden als sogenannte Verdingkinder auf verschiedene Bauernfamilien verteilt, müssen schuften und bekommen, wenn sie Glück haben, genug zu essen. Martha, die Zweitjüngste, ist aufgeweckt und fleißig. Sie macht ihren Weg als Fabrikarbeiterin in einer Spinnerei, später als Gattin eines Schusters. Als er früh stirbt, droht sich ihr Schicksal als Witwe mit zwei Kindern zu wiederholen. Doch Martha überrascht alle, nicht zuletzt ihre beiden Söhne. Ein Roman über eine Kämpferin, eine Frau, die sich aus bitterer Armut emporgearbeitet hat – und über den Preis, den sie, ihre Söhne und noch ihre Enkel dafür zahlen. (Diogenes Verlag)

Einmal mehr erweist sich Lukas Hartmann als grossartiger Erzähler. Dieser autobiographisch geprägte Roman ist packend und ein interessantes Zeitdokument. Hartmann erzählt relativ unemotional und sachlich mit einer wohltuenden Distanziertheit von einer Zeit, die in der Schweiz immer noch grosse Emotionen hervorruft und ein dunkles Kapitel in der Geschichte des Landes darstellt. Wie schon bei seinen Romanen „Schattentanz“ über den Art-Brut-Künstler Louis Soutter oder den jüdischen Tenor Joseph Schmidt („Der Sänger„) schafft es Hartmann, eine spannende historische Geschichte und interessante Fakten mit Pageturner-Lesevergnügen zu verbinden. Marthas Geschichte ist wohl ein typisches Frauenschicksal jener Zeit, pflichtbewusst und zeitlebens geprägt von ihrer Zeit als Verdingkind. Erst die Generation ihres Enkels Bastians (aka Lukas Hartmann) schafft es, sich aus diesen Zwängen zu befreien. Der Roman ist auch ein Dokument gegen das Vergessen und genau aus diesem Grund ist Lukas Hartmann für mich einer der wichtigen und immer wieder sehr lesenswerten zeitgenössischen Schweizer Autoren.

„Martha und die Ihren“ von Lukas Hartmann, 2024, Diogenes Verlag, ISBN: 978-3-257-07273-0 (Werbung)

Dieser Blog-Beitrag ist ohne eine vereinbarte Zusammenarbeit mit dem Verlag entstanden. Ich habe ein Rezensionsexemplar kostenfrei zur Verfügung gestellt bekommen, wofür ich mich beim Diogenes Verlag sehr herzlich bedanken möchte. Meine Meinung blieb davon in jeglicher Art und Weise unbeeinflusst.

Zuletzt gelesen:

Delphine de Vigan – Les Loyautés

Arnon Grünberg – Amour Fou

Diaty Diallo – Zwei Sekunden brennende Luft

Gabriel García Márquez – Wir sehen uns im August

Gaea Schoeters – Trophäe

Josephine W. Johnson – Die November Schwestern

Truman Capote – Kaltblütig

Gu Byeong-Mo – Frau mit Messer

Meri Valkama – Deine Margot

Sheng Keyi – Die Gebärmutter

Jon Fosse – Ein Leuchten

11 Kommentare

      1. Alinta_Brissie_66

        Es ist Betrug alles nur um die Verkaufszahlen zu stärken – meine Grosseltern waren grossartig und Künstler und Dichter und Arbeiter aber die hatten nie die Gelegenheit dazu und heute wird jeder Scheiss verkauft

        Like

      2. arcimboldis_world

        Das tut mir leid für Sie und Ihre Grosseltern, aber was hat das mit mir und meinem Blog zu tun? Ich habe den Roman von Lukas Hartmann gelesen und meine persönliche Meinung dazu gepostet. Thats it. Besten Gruss.

        Like

Diesen Beitrag von arcimboldis_world kommentieren