Ein letztes Konzert und somit ist die Ära Bringuier als Chefdirigent des Tonhalle Orchester Zürich Vergangenheit. Vor dem Beginn noch eine typisch launige Rede ohne Mikrofon von Tonhalle-Gesellschaft-Oberboss Martin Vollenwyder – „Ich investiere das Geld für das Mikrofon lieber in die Kunst“, da fragt man sich doch, warum Ilona Schmiel dann als Zweitrednerin verstärkt mit Hand-Funke gesprochen hat….
Programmatisch wurde das Konzert von der Intendantin als dramaturgischer Spannungsbogen der vierjährigen Amtszeit von Lionel Bringuier angekündigt: Das 3. Klavierkonzert von Sergej Prokofiew mit der wunderbaren Yuja Wang am Flügel, sie begleitete 2014 auch das erste Konzert von Bringuier als Solistin; zum Schluss „La Valse“ von Ravel, dessen Œuvre in den letzten Jahren von Bringuier mit dem Tonhalle Orchester eingespielt wurde und als Auftakt „Don Quixote“ von Richard Strauss – dazu hatte Frau Schmiel keinen dramaturgischen Ansatz zu vermelden. Aber es steht wohl offensichtlich für den armen Ritter von der traurigen Gestalt namens Lionel Bringuier, der hier in Zürich nie wirklich angekommen ist und offenbar gegen Windmühlen bzw. starke Gegenwinde kämpfen musste. Zu Unrecht, denn viele seiner Konzerte waren wirklich grossartig, vor allem mit seinem letzten – vor kurzem gegebenen Konzert am 15.5.2018 gemeinsam mit Leif Ove Andsnes – hat er auch seinen letzten Kritikern unmissverständlich gezeigt, was in ihm steckt. Und nun auch in seinem „Indoor“-Abschiedskonzert in der Tonhalle MAAG (einen Tag später gab es im Rahmen der Zürcher Festspiele noch ein Openair „für alle“ am Fraumünsterplatz) gab es sehr viel Schönes zu hören und verdiente Schluss-Ovationen…
Richard Strauss (1864-1949): „Don Quixote“ op. 35
Sergej Prokofjew (1891-1953): Klavierkonzert Nr. 3 C-Dur op. 26
Maurice Ravel (1875-1937): „La Valse“, poème choréographique pour orchestre
Zu Beginn des Konzertes dauerte es etwas, bis alle zueinander fanden und das orchestrale Gemeinschaftsgefühl entstehen konnte, die ersten Variationen plätscherten ein wenig dahin – erst mit der plakativen Windmaschine in der 7. Variation, wenn Don Quixote und Sancho Pansa auf einem magischen Boot durch die Lüfte fliegen, nahm einen diese Tondichtung wirklich gefangen. Am Ende ist man dann absolut hingerissen vom Abgesang des Solocellos, von den träumerischen, aber zerstörten Illusionen Don Quixotes, wundervoll wie der Solopart langsam zwischen den anderen Instrumenten versiegt – mitreissend die beiden TOZ-Solisten Thomas Grossenbacher (Violoncello) und Michel Rouilly (Viola) – lobenswert, dies mit eigenen (hervorragenden) Solomusikern zu besetzen.
Nach der Pause dann die hinreissende Yuja Wang, deren Spiel nach dem 1. Satz ungewöhnlicherweise das Publikum zu spontanen Beifallsbekundungen animierte. Wenn man das grosse Glück hatte, die Tastatur im Blickfeld zu haben, konnte man sich während ihrer immens temporeichen Fingerläufe nicht mehr davon lösen – always fascinating. Tolles Werk! Tolle Interpretin! Man spürte, dass Wang und Bringuier absolut miteinander harmonieren und der stetige Wechsel zwischen den vielen lyrischen Passagen hin zu rhythmisch komplexen Teilen in diesem Konzert geriet sehr spannungsreich und energiegeladen.
Dieses Gefühl setzte sich auch im finalen Stück des Konzertes fort: „La Valse“ von Maurice Ravel, von Bringuier in seiner Amtszeit mehrfach in Zürich dirigiert und immer wieder schön zu hören. Trotz der rauschhaften Walzerklänge ist man immer wieder erstaunt über die hörbaren Abgründe der Entstehungszeit, als Zuhörer ist es fast nicht möglich, sich dieser Sogwirkung zu entziehen. Das Stück nimmt einen gefangen und Bringuier kennt seinen Ravel sehr gut. Das ist einmal mehr zu hören und ein wunderbarer letzter akzentuierter Schlussstrich unter seine Zürcher Zeit als Chefdirigent.
Als Abschiedsgeschenk beim Schlussapplaus erhielt Lionel Bringuier dann vom Orchester eine überdimensionale Treichel – samt Gravur, Lederband und Messingschnallen – mit dem Hinweis, dass dies nun sein „Instrument“ sein. Zum Beweis, dass er dieses „alpenländische“ Instrument nach seinen 4 Jahren in der Schweiz nun auch beherrscht, musste er das speziell für ihn vom Klarinettisten Florian Walser alpenländisch arrangierte Stück „Eviva i Soci“ mit der Treichel begleiten. Eine hübsche Geste, den Zuschauern hat es gefallen – vielleicht etwas hausbacken…
Nun folgt ab der übernächsten Spielzeit 2019/2020 als neuer Chefdirigent und künstlerischer Leiter der Este Paavo Järvi. Man erwartet viel von dieser neuen Ära, man kann gespannt sein, ob sich das dann auch tatsächlich einlöst… – dem scheidenden Lionel Bringuier kann man nur wünschen, dass er bei einem neuen Engagement nicht erneut irgendwelchen profilierungssüchtigen lokalen Musikkritikern (und sonstigen Meinungsbildnern) ausgesetzt ist, die ihm – wie hier in Zürich – nicht wirklich eine Chance gaben.