David Zinman is back – immer wieder schön, wenn er hier ist und ein Konzert mit dem Tonhalle-Orchester gibt. Die jahrelange Verbundenheit mit dem Orchester, dass er fast 20 Jahre lang geleitet und geprägt hat, ist noch sehr zu spüren. Auf dem Programm standen die 2 .Sinfonie von Brahms und die 2. Sinfonie „The age of anxiety“ von Bernstein. Eine interessante Kombination, aber man fragt sich schon ein wenig, was hier das Konzept des Abends ist? Der marketingtechnische Programmname „Vis-à-vis 5“ ist ja etwas pille-palle (und lässt einmal mehr alles offen)… – oder ist es einfach (ganz banal gedacht) die Nummer 2…?
Wie Beethoven, gehört auch Brahms für mich zu tollen Konzerterlebnissen mit David Zinman – seine Aufnahmen der vier Sinfonien höre ich immer noch gerne und so war es – einmal mehr – wunderbar, Sinfonie Nr. 2 unter ihm zu hören. Historisch gesehen ist das Tonhalle-Orchester natürlich auch mit Brahms sehr verbunden, hat er doch 1895 zur Eröffnung als anwesender Ehrengast sein „Triumphlied“ dirigiert. Intensiv folgen die Musiker am besuchten Konzert ihrem ehemaligen Chef und man ist ganz hingerissen von diesem Brahms, so wie man ihn gerne auch hören möchte – in seiner ganzen Bandbreite von sentimentaler Melancholie bis hin zu den schmissigen Streichern und Trompetenparts und den wehmütigen Hörnern. Bis zum Schluss nimmt einen die immer noch spürbare Harmonie zwischen Zinman und dem Orchester gefangen, das sieht und hört man.
Johannes Brahms (1833-1897) – Sinfonie Nr. 2 D-Dur op. 73
Leonhard Bernstein (1918-1990) – „The Age of Anxiety“ Sinfonie Nr. 2 für Klavier und Orchester
Nach der Pause dann das etwas sperrige und – vor allem nach dem Brahms – ungewohnte Hörerlebnis von Bernsteins 2. Sinfonie „The age of anxiety“ nach dem 1948 veröffentlichten Gedicht von W. H. Auden, für das dieser den Pulitzer Preis erhielt. In diesem Gedicht versuchte Auden die Stimmung der Nachkriegszeit einzufangen. Dabei treffen sich im ersten Teil 4 junge Menschen und berichten, was sie erlebt haben. Im zweiten Teil betrauern sie die verlorene Vaterfigur, auf einer Party entsteht und vergeht eine Liebe und zuletzt in „The Epilogue“ kehren diese Menschen einsam und alleine zurück in ihren Alltag. Bernsteins Sinfonie folgt dieser Struktur und gibt diese musikalisch wieder. Während im ersten Teil das Klavier und das Orchester die Dialoge widerspiegeln, ist im zweiten Teil jazzige Partymusik zu vernehmen, am Schluss jedoch liegt wieder grosse Schwermut und fast schon depressive Stimmung über allem. Es ist nicht so einfach einen Zugang zu diesem Werk zu finden – die Bandbreite der Emotionen ist immens: von Trostlosigkeit, bis hin zur Melancholie und eben der ausgelassenen Partystimmung mit typisch jazzigen Bernstein-Klängen ist alles zu hören. Man muss sich darauf einlassen. Dann aber hat man ein spannendes Stück Musik vor sich, hört einen interessanten Dialog zwischen den Klaviersoli des grandiosen Krystian Zimerman (der in dieser Saison das Stück unter mehreren Dirigenten aus Anlass des 100. Geburtstages von Leonard Bernstein aufführt). Zinman und sein Orchester und der Solist Zimerman spielen sich gegenseitig immer wieder Bälle zu, es hat die Anmutung eines musikalischen Pingpong-Spieles, als Zuhörer hat man das Gefühl, die Struktur nun verstanden zu haben, da wechselt alles wieder aufs Neue. Sehr spröde – aber sehr interessant und ungewöhnlich, ist man sonst eher gängige Melodien Bernsteins gewohnt, die ja teilweise tatsächlich Ohrwurmcharakter haben. Ein sehr spannendes Konzert. Das Publikum dankt mit langanhaltenden Ovationen und zeigt ebenfalls – einmal mehr – seine Verbundenheit mit David Zinman. Offen bleibt dennoch die Frage des Konzeptes…
By the way: Bernsteins „The age of anxiety“ wurde mit dem Tonhalle-Orchester erstmals 1992 unter der Leitung von David Zinman aufgeführt – seitdem nicht mehr…