Percival Everett – James.

Viel zu lange lag er ungelesen auf dem Lesestapel – Percival Everetts Roman „James“, ausgezeichnet mit dem Pulitzer-Preis 2025. Wirklich zu empfehlen!

Anfänglich war ich etwas skeptisch, so wie häufiger, wie meistens, wenn es sich um Überschreibungen handelt, denn ich mag das in den meisten Fällen auf der Theaterbühne auch nicht so, weil ich mich dann frage, wozu? Hat man Angst vor der Vorlage? Hat man kein Vertrauen in diesen alten Text? Aber bei „James“ ist das etwas anderes, denn Everett beleuchtet die Vorlage aus Sicht von Jim, einer POC, für den sich dieser Handlungsstrang, dieser Erzählverlauf mit seinem Blickwinkel natürlich etwas anders darstellt. Das liest sich äusserst spannend und interessant und wird wohl in den heutigen USA als provokant angesehen, heutzutage – in einer Zeit, wo man zu alten Strukturen zurückkehrt und manch einer wohl gerne die Sklaverei wieder einführen möchte.

„Huckleberry Finn“ wird zum Roman der Freiheit – in „James“ erfindet Percival Everett den Klassiker der amerikanischen Literatur neu. Jim spielt den Dummen. Es wäre zu gefährlich, wenn die Weißen wüssten, wie intelligent und gebildet er ist. Als man ihn nach New Orleans verkaufen will, flieht er mit Huck gen Norden in die Freiheit. Auf dem Mississippi jagt ein Abenteuer das nächste: Stürme, Überschwemmungen, Begegnungen mit Betrügern und Blackface-Sängern. Immer wieder muss Jim mit seiner schwarzen Identität jonglieren, um sich und seinen jugendlichen Freund zu retten. (Hanser Verlag)

„James“ ist ein wichtiger Roman, eine wichtige Provokation, ein Text, eine Überschreibung, die an den Grundfesten Amerikas rüttelt und zu denken gibt. Grossartig gelungen ist die Idee der „Sklavensprache“, ein spezieller Slang, den Everett hier einführt und mit deren Hilfe sich James quasi nicht als intelligenter und sprachgebildeter Mensch outen muss, sondern die Sichtweise der Weissen bestätigt und sein Untertauchen erleichtert. Das liest sich für mich zunächst etwas holprig, aber man gewöhnt sich daran und dieser Kunstgriff macht die Lektüre sehr viel plastischer und die Figur authentischer, denn man erwartet von einem Sklaven nicht, dass er in Standardsprache kommuniziert. Auch ist bei Everett die Figur James viel komplexer, ich muss also nach dieser wirklich interessanten Lektüre sofort „Huckleberry Finn“ aus dem Regal holen und im Original etwas Schmökern. Ich denke man hat mehr von „James“, wenn man Mark Twain ebenfalls gelesen hat. Zu empfehlen sind jedenfalls beide Romane!

„James“ von Percival Everett, 2024, Hanser Verlag, ISBN: 978-3-446-27948-3 (Werbung)

Zuletzt gelesen:

Mieko Kawakami – Das gelbe Haus

Ian McEwan – Was wir wissen können

Paul Lynch – Das Lied des Propheten

Rainer Brambach – Heiterkeit im Garten.

Tilman Lahme – Thomas Mann. Ein Leben.

Édouard Louis – Der Absturz

Karl Ove Knausgård – Die Schule der Nacht

Jane Gardam – Tage auf dem Land

Florian Birnmeyer – Storchenstolz

3 Kommentare

  1. frau frogg

    Ich bin bei „James“ ganz bei dir. Das Buch ist eine Wucht, eines meiner Lieblingsbücher dieses Jahr. Diese Szene, wo er den Kindern im Sklavenhaus beibringt, wie sie sprechen müssen, damit sie überleben (das ist wörtlich zu nehmen)! „Huckleberry Finn“ habe ich dann auch nochmals gelesen und hielt diesen Klassiker der Weltliteratur für ein vergleichsweise blasses Buch.

    Gefällt 1 Person

    1. arcimboldis_world

      Ja, das ist ganz klug geschrieben, auch wenn es anfangs schon etwas irritiert und man ein wenig Zeit braucht, das fliessend zu lesen.. – aber fürwahr ein wirklich toller und wichtiger Roman! Heutzutage mehr denn je. Herzlichst aus Zürich. A.

      Like

Hinterlasse eine Antwort zu frau frogg Antwort abbrechen