Auf nach Genève, denn Debussys einzige (vollendete) Oper „Pélleas & Mélisande“ in der Inszenierung und Choreographie von SIDI LARBI CHERKAOUI und DAMIEN JALET und in der Ausstattung von MARINA ABRAMOVIC lockt doch sehr, auch wenn es am Grand Théâtre eine aufgewärmte Produktion von 2020/21 ist, die Pandemie-bedingt bisher überwiegend gestreamt gezeigt werden konnte, nun also live auf der Bühne….
Bisher war diese Oper für mich immer ein dreistündiger vor sich hinwabernder Klangteppich, mit einer nicht klaren, geheimnisvollen Handlung, aus der man nicht wirklich schlau wurde. Und nun? Diese Genfer Produktion ist spannend und weniger meditativ und vor sich hinplätschernd als auch schon gesehen und ich habe das Gefühl der ganze Saal blickt gebannt auf die Bühne. Das liegt eindeutig an den sieben Tänzern (rekrutiert aus Tänzern von Cherkaouis Ensemble „Eastman“ und dem Genfer Ballett), die zwar nicht fortwährend onstage sind, aber deren Momente dann absolut den Fokus ziehen und zwar nicht nur bei den vielen rein musikalischen Zwischenspielen, sondern auch in grossen Momenten des herausragenden Sänger:innen-Ensembles. In Abramovics Setting gibt es viel Symbolik, jedoch erstaunlicherweise keine komplette Nacktheit (wozu auch?) und natürlich dominiert das Bühnenbild und das omnipräsente Video – das uns fortlaufend in ferne Galaxien entführt – das Geschehen. Und das ist auch gut so, denn nur so funktioniert dieses Werk, was einerseits so geheimnisvoll daherkommt, andererseits, würde man es 1:1 erzählen, ziemlich langweilig und vorhersehbar wäre (Liebe, Eifersucht, Drama, Tod, das Opern-übliche….), also die absolut richtige Entscheidung, sich genau für dieses Team zu entscheiden: Sidi Larbi Cherkaoui, der bereits mehrfach erfolgreich die beiden Genres Oper und Tanz lustvoll kombiniert hat (grossartig: „Satyagraha“ von Philip Glass, u.a. in Basel), Damien Jalet, dessen Arbeit sich immer wieder mit Mythen und Ritualen beschäftigt und schliesslich eine Künstlerin, die überwiegend im Bereich Performance zu Hause ist und deren Arbeiten jeder kennt – also marketingtechnisch perfekt und in der Umsetzung ebenso, hierfür hat Intendant AVIEL CAHN ein Händchen und es ist auch keine neue Produktion, sie hatte bereits 2018 Premiere an der Opera Vlaanderen (im 100. Todesjahr des Komponisten…).

So sehen wir also die Tänzer in überwiegend fliessenden Bewegungen, sie zeigen uns das Unterbewusste, die unterdrückten Emotionen und doch illustrieren sie nicht nur, sie sind Teil eines Gesamtkonzeptes, das versucht eine zusätzliche Ebene zur Musik und zu den Stimmen hinzuzufügen und gleichzeitig erschaffen sie mit den immer wieder verwendeten Schnüren, Seilen, Fäden zwischen den Sängern Verbindungen, die teils an gezeichnete Sternbilder erinnern und sich so in diese fortwährenden Videos aus dem All, dem Universum, in das Kosmische einfügen, gleichzeitig sind sie auch ein Zeichen für die Verbundenheit, für die Verstricktheit in dieser familiären Konstellation. Und so agiert die Besetzung zwischen überdimensionalen Edelsteinen, Kristallen (oder sind es einfach nur ganz plakative eckige Phallus-Symbole, eher nicht, denn wie wir am Schluss erfahren, sie liebten sich, Sex gab es jedoch keinen zwischen Pélleas und Mélisande…). Zeigt uns das Abramovic-Setting (und die dazu passenden Kostüme von IRIS VAN HERPEN) nun also die Universalität der Liebe oder geht das eher in eine esoterisch angehauchte Interpretation, egal, denn das Konzept funktioniert und harmonisiert mit dieser wirklich tollen Besetzung: MARI ERIKSMOEN ist eine Idealbesetzung, Sie hat genau diese ätherische durchscheinende Blässe, diese Zerbrechlichkeit, genau so stellt man sich diese geheimnisvolle Figur Mélisande vor und zusammen mit BJÖRN BÜRGERS Pélleas eine wundervolle – wenn auch glücklose – Paarung. Auch in dieser Produktion begeistert Bürgers wohltönender Bariton, den ich immer noch vor Augen habe, wie er auf Rollerblades in der Zürcher Produktion von Korngolds „Die tote Stadt“ über die Bühne rollt oder etwa als Prinz Bolkonski in der Genfer Produktion von „Guerre et Paix“ (2021). In den Höhen zwar etwas schlank, aber immer voller Wärme und auch er hat dieses Unschuldige und ergänzt hervorragend die Mélisande von Eriksmoen. Der Golaud von LEIGH MELROSE hingegen ist ein gequälter Geist, ein starker und energischer Gegenpart, absolut glaubwürdig und kraftvoll, autoritär wie Arkel, dem NICOLAS TESTÉ grosse Präsenz verleiht und dessen schöner Bass mir immer wieder gefällt. SOPHIE KOCH ist eine eher zurückhaltende, dezent im Hintergrund wirkende Geneviève und aufhorchen lässt die sehr schöne Stimme von CHARLOTTE BOZZI als Golauds Sohn Yniold, der zwischen die Fronten gerät und als Spion missbraucht wird. Ergänzt wird das Ensemble durch MARK KURMANBAYEV als Arzt/Hirte. Am Pult des ORCHESTRE DE LA SUISSE ROMANDE steht erstmals JURAJ VALČUHA.

Mir gefällt das anfänglich sehr konzentriert und fast schon unemotional wirkende Dirigat, so kann sich später dann, vor allem im 5. Akt, eine Spannung entwickeln, die man anfangs nicht vermuten würde, mir gefällt der dann doch noch spür- und hörbare Farbenreichtum und diese Vielschichtigkeit in Debussys Partitur, die nur vordergründig so dahinplätschert und was ich unbedingt noch erwähnen muss, ist die absolut präzise Textverständlichkeit aller Sänger:innen. Man ist nach dieser Aufführung gechilled und aufgewühlt zugleich. Bravi!
Whats next? – „El barberillo de Lavapiés“ von Francisco Asenjo Barbieri – eine Zarzuela in 3 Akten am Theater Basel.
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Ich kenne leider nur die Musik von Sibelius, die ich mir gerne ab und zu anhöre…
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