Ian McEwan – Was wir wissen können.

Eigentlich bin ich ein grosser Fan von Ian McEwan, habe jedoch schon seit Jahren nichts mehr von ihm gelesen, nun also sein neuester, sein achtzehnter Roman „Was wir wissen können“. Ich bin hin- und hergerissen zwischen Faszination und Langweile. Spannend und sehr facettenreich ist das schon, dieser Rückblick aus dem Jahr 2119 auf unsere heutige Zeit, eher tröge hingegen der eigentlich interessant tönende Plot, diese Suche nach dem Blundy-Gedicht, der mehr Tiefgründigkeit verspricht, als er dann letztendlich zu halten vermag…

Ich frage mich, was ist die Grundidee? Geht es McEwan um die Vergänglichkeit oder um den Stellenwert von Literatur? Die verschiedenen Ebenen, diese gefühlte Zweigeteiltheit des Romans sind für mich ermüdend und führen für mich in ein gelangweiltes Lesen, sehr schnell neige ich dazu weiterzublättern und querzulesen, kein gutes Zeichen. „Was wir wissen können“ ist anspruchsvoll und oberflächlich zugleich, ein Pageturner ist es dennoch, denn Schreiben kann er wirklich, dieser Ian McEwan, von dem ich schon so viele Romane verschlungen habe. Aber über „Was wir wissen können“ kann ich mir kein abschliessendes Urteil bilden, ich bin tatsächlich sehr hin- und hergerissen bei diesem Roman.

Im Jahr 2119: Die Welt ist überschwemmt, Europa eine Insellandschaft, Freiheit und Reichtum unserer Gegenwart – ein ferner Traum. Der Literaturwissenschaftler Thomas Metcalfe sucht ein verschollenes Gedicht von Weltrang. Der Dichter Francis Blundy hat es 2014 seiner Frau Vivien gewidmet und nur ein einziges Mal vorgetragen. In all den Spuren, die das berühmte Paar hinterlassen hat, stößt Thomas auf eine geheime Liebe, aber auch auf ein Verbrechen. (Diogenes Verlag)

Sicherlich, ich finde all diese Betrachtungen über eine längst vergangene Welt, über nicht mehr existierende Lyrik und Literatur absolut interessant und spannend, aber irgendwie ist es auch repetitiv und ja, grossenteils langweilig, weil es nicht vorangeht und immer wieder die selben Themen aufgreift. Ehrlich gesagt finde ich das spannendste Kapitel jenes, in dem die Studenten von Thomas Metcalfe und seiner Partnerin die Vorlesung verlassen, weil sie es satt haben, immer nur über alte Zeiten zu sprechen, immer nur zu hören, wie viel besser und schöner es früher war, wie Literatur früher grössere Bedeutung hatte, das wollen sie nicht mehr, sie wollen über das jetzt, über das heute, über ihre Zukunft sprechen und nicht mehr in und über die Vergangenheit forschen. Dieser Moment ist mehr sehr im Gedächtnis geblieben, viel mehr als die vielen Seiten über dieses elende Blundy-Gedicht, um das dieser Roman auf fast 500 Seiten kreist. Ian McEwan entwirft eine trostlose Welt in der Zukunft, bin ich froh, lebe ich im hier und jetzt. „Was wir wissen können“ ist interessanter Lesestoff, man hat aber das Gefühl, dass dies ein Alterswerk McEwans ist, ein Resümee, kein Ausblick, denn all dies liest sich wie ein grosser allumfassender, fast schon philosophisch anmutender Rückblick auf literarisches Schaffen. Sein bester Roman ist es jedenfalls nicht.

„Was wir wissen können“ von Ian McEwan, 2025, Diogenes Verlag, ISBN: 978-3-257-07357-7 (Werbung)

Dieser Blog-Beitrag ist ohne eine vereinbarte Zusammenarbeit mit dem Verlag entstanden. Ich habe ein Rezensionsexemplar kostenfrei zur Verfügung gestellt bekommen, wofür ich mich bei sehr herzlich beim Diogenes Verlag bedanken möchte. Meine Meinung blieb davon in jeglicher Art und Weise unbeeinflusst.

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4 Kommentare

  1. arnoldnuremberg

    Hallo Arcimboldi, danke für Deine kritische Lektüre. Selber hatte ich vor einiger Zeit „Abbitte“ gelesen und fand dies eindrucksvoll. Dies hatte Ian McEwan historisch angelegt. Eine Dystopie ist wohl eine andere Baustelle. Viele Grüße von Nüri nach Züri, Bernd

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