Ein Roman, den man in der heutigen Zeit unbedingt auf seiner Lese-Agenda haben sollte, gelesen haben muss – quasi ein „must read“: Paul Lynchs dystopischer Roman „Das Lied des Propheten“, 2023 mit dem Booker Price ausgezeichnet, nimmt mich mit auf eine atemlose Reise, zeigt auf, wie schnell sich unsere Welt ändern kann, wie wach wir sein müssen…
Es ist nicht nur der Plot, es ist diese Atemlosigkeit, mit der uns Lynch durch den Text jagt, so dass wir gar nicht mehr aufhören wollen, aufhören können zu lesen, so sehr sind wir betroffen und gleichzeitig begeistert von dieser Wucht. Wohlverdient hat er den Booker Preis dafür bekommen, viel zu lange lag dieser Roman auf meinem Bücherstapel. Sehr betroffen macht mich dieser Text. Ich kann mich dieser Sogwirkung nicht entziehen, lasse mich hineinziehen in diesen Kampf, in diesen Alltag, in diese Ohnmacht, in diesen Taumel sprachlicher Kraft und seiner wörtlichen Rede ohne Punkt und Komma (was ich sehr mag).
An einem dunklen, regennassen Abend in Dublin öffnet die Wissenschaftlerin und vierfache Mutter Eilish Stack ihre Haustür und steht zwei Beamten der neu gegründeten irischen Geheimpolizei gegenüber. Sie sind gekommen, um ihren Mann Larry, einen bekannten Gewerkschafter, zu verhören. Kurz nach dieser Begegnung mit der Polizei verschwindet Larry, und sehr schnell beginnen die Dinge in Eilishs Welt aus dem Ruder zu laufen. Irland befindet sich in der Gewalt einer Regierung, die auf dem Weg in die Tyrannei ist. Eilish findet sich in der alptraumhaften Logik einer kollabierenden Gesellschaft wieder, angegriffen von unsichtbaren Kräften, die sich ihrer Kontrolle entziehen. Sie ist gezwungen, alles zu tun, um ihre Familie zu schützen und alle zusammenzuhalten. Wie soll sie ihren Kindern erklären, was passiert ist, wenn sie nach dem Vater fragen? Wie wird ihr eigener zunehmend dementer Vater auf die gravierenden Veränderungen seines Alltags reagieren? Und wie weit wird Eilish selbst gehen, um sich und ihre Familie zu retten? (Klett-Cotta Verlag)
»Das Lied des Propheten« ist ein Familienporträt, herausgegriffen, beispielhaft für viele andere Familien, in einer Situation, die jeden treffen kann, man befindet sich am Rande der Katastrophe, das ist mehr als Fiktion, stilistisch und emotional für mich ganz grosses literarisches Kino. Und immer wieder, wenn ich Nachrichten höre, die Zeitungen aufschlage und aktuelle Meldungen beispielsweise aus den USA verfolge (ein Land, das man bis vor geraumer Zeit (fast) nie mit antidemokratischen Themen in Verbindung gebracht hätte), dann ist dieser Roman tatsächlich das Buch der Stunde – und ein Appell, die entstehenden autoritären Regimes der Gegenwart zu bekämpfen. Unbedingt Lesen!
„Das Lied des Propheten“ von Paul Lynch, 2025, Klett-Cotta Verlag, ISBN: 978-3-608-98887-1 (Werbung)
Zuletzt gelesen:
Tilman Lahme – Thomas Mann. Ein Leben.
Édouard Louis – Der Absturz
Karl Ove Knausgård – Die Schule der Nacht
Jane Gardam – Tage auf dem Land
Florian Birnmeyer – Storchenstolz
Julia R. Kelly – Das Geschenk des Meeres
Res Strehle – Nur fliegen kann er nicht. Harald Naegeli. Eine Biographie.
Caroline Wahl – Windstärke 17
Andreas Maier – Das Haus/Die Strasse (Ortsumgehung 2 & 3)
Claire Keegan – Reichlich spät
Delphine de Vigan – Les Enfants sont rois
Anne Enright – Vogelkind
Ocean Vuong – Der Kaiser der Freude
Ich kann das nur bestätigen. Es ist geradezu gespenstisch. Ich habe es auf englisch gelesen, und da sind diese Leute, die sich in heutigen, irischen Redensarten unterhalten und dann bekommst du fast einen Atemstillstand, weil sie plötzlich einer übergriffigen Polizei festgenommen werden, wegen Dingen, die wir heute ganz normal finden.
LikeGefällt 1 Person
Ich glaube das erschreckende an diesem Roman ist die Tatsache, dass man das Gefühl hat, dass dies auch tatsächlich uns treffen könnte, so abwegig ist dieses Szenario nicht (mehr). Herzlichst aus Zürich. A.
LikeLike