Măcelaru/Fröst: Clyne/Prokofiew – Tonhalle Zürich 24.10.2025

Obwohl ANNA CLYNE eine der meistgespielten zeitgenössischen Komponistinnen ist, höre ich erstmals live im Konzertsaal ein Werk von ihr: Das Tonhalle Orchester Zürich spielt unter der Leitung von CRISTIAN MĀCELARU ihr für MARTIN FRÖST geschriebenes Klarinettenkonzert „Whethered“ und ich bin restlos begeistert…

Martin Fröst spielt wie immer absolut virtuos und ist sowieso der totale Hingucker, seine Bewegungen, wie er sich ganz dieser wunderbaren Musik – die in Zusammenarbeit mit der Komponistin entstanden ist – hingibt, sie lebt und spürt und seiner Klarinette eine unglaubliche Bandbreite an Tönen entlockt. „Whethered“ ist ein Werk, dass sich mit der Verwitterung von Dingen beschäftigt, ein Werk in dem in fünf fünfminütigen Sätzen nacheinander eine verrostete Brücke, ein gebrochenes Herz, eine vom Wind verwitterte Burg, ein majestätischer Wald und ein sich erwärmender Planet – unsere Erde – erkundet wird. Für diese Untersuchung hat Clyne Instrumente gewählt, die jedes Element widerspiegeln: Röhrenglocken und Metallrohre für das verfallende Metall der Brücke und die verspielt leichten Bewegungen eines Steins, der über einen See hüpft. Aber auch aktuellere Themen wie die Covid-19-Pandemie und die Dringlichkeit des Klimawandels werden aufgegriffen und hörbar. Und nebst Fröst, gibt es auch beim Schlagwerk viel zu sehen, die Herren haben viel zu tun, bespielen Schlagzeug und Marimbaphon, letzteres auch mit dem Bogen. Der letzte Satz beginnt mit einer von Clyne als „fanfarenartige Figur in den Blechbläsern“ beschriebenen Melodie – ein Alarmruf, der unsere Aufmerksamkeit auf die Klima-Krise lenkt, die uns bevorsteht – es ist klar: wir befinden uns an einem kritischen Punkt. Und nebst dem fulminant aufspielenden Tonhalle Orchester, ist es vor allem Martin Fröst, der mit seiner Klarinette den Dreh- und Angelpunkt dieses Werkes bildet und nebst virtuosem Spiel auch noch singt und summt. Grossartig diese Klanggewalt und Wucht im ersten Teil, was für ein Auftakt für diesen spannenden Konzertabend. Und wie um uns alle nach dieser kraftvollen, naturgewaltigen Wucht von Clynes Musik und diesen dringlichen, dystopischen Aussichten zu versöhnen, gibt uns Fröst noch einen der ungarischen Tänze von Johannes Brahms in der Bearbeitung seines Bruders Göran Frost mit auf den Weg in die Pause, denn wir müssen durchatmen vor der nächsten grossen anstehenden Klangflut – Profkofiews 5. Sinfonie, auch alles andere als leichte Kost…..

Anna Clyne: Wheathered“, Klarinettenkonzert – Encore: Johannes Brahms/Göran Fröst: „Anniversary Dances“ für Soloklarinette und Streicher – Sergej Prokofiew: Sinfonie Nr. 5 B-Dur op. 100

Und dann hat man nach der Pause das Gefühl, dass Măcelaru etwas Zeit braucht, um gemeinsam mit dem Orchester in die Gänge zu kommen, wie schwerfällig wälzt sich der 1. Satz dieser wuchtigen 5. Sinfonie Prokofiews durch den Saal, wie betäubt sitze ich und lausche, ich liebe diese Sinfonie, immer wieder (zuletzt gehört 2022 unter Paavo Järvi) und vielleicht passt ja auch diese Schwere und die historischen Gegebenheiten der damaligen Uraufführung eben genau deshalb so gut in die heutige Zeit mit all ihren Wirren, (drohenden) Kriegen und Unsicherheiten. Wie gut folgt dann doch der leichtfüssige 2. Satz, gibt mir wieder etwas Luft zum Atmen, ich habe nun auch das Gefühl von mehr Differenziertheit und Durchlässigkeit im Klang und etwas Entspannung in der Dynamik. Und nach den letzten Takten, die mich immer an eine tickende Bombe, an eine ablaufende Uhr kurz vor dem grossen Knall erinnern, habe ich einmal mehr bei der Musik Prokofiews das Gefühl, ich lausche den Rädern einer riesigen lärmenden Maschine und wie so häufig bei Prokofiev verlasse ich die Tonhalle und bekomme seine Musik nicht mehr aus dem Ohr.

Die Tonhalle war trotz dieses grossartigen Programms erstaunlich spärlich besucht, der Applaus für Cristian Măcelaru und das Tonhalle Orchester – und vor der Pause für den unglaublichen Martin Fröst – umso grösser! Standing Ovations! Was für ein wundervoller Freitagabend-Start ins Wochenende! Und bitte mehr von Anna Clyne!

What’s next auf meiner Konzert-Agenda? Das Tonhalle-Orchester Zürich unter der Leitung von Paavo Järvi: Gustav Mahler – Sinfonie Nr. 2 c-Moll „Auferstehungs-Sinfonie“ (u.a. mit Mari Eriksmoen, die ich am 2.11. am GTG als Mélisande sehen und hören werde…!!)

Zuletzt besuchte Konzerte:

Estonian Festival Orchestra/Järvi/Midori/Aavik: Happy Birthday Arvo Pärt! – Tonhalle Zürich 19.10.2025

Järvi/Sidorova: Pärt/Kōrvits/Vasks/Mozart – Tonhalle Zürich 26.09.2025

Järvi/Gabetta: Adès/Schostakowitsch/Rachmaninow – Tonhalle Zürich 17.09.2025

Järvi/Thibaudet: Chatschaturjan/Sibelius – Tonhalle Zürich 12.06.2025

Swiss Orchestra/Lena-Lisa Wüstendorfer & Stephan Eicher – Tonhalle Zürich 01.06.2025

Rouvali/Cho: Prokofjew/Tschaikowsky – Tonhalle Zürich 11.05.2025

Sokhiev/Guzmann/BRSO: Boulanger/Tschaikowsky/Chausson – Isarphilharmonie München 11.04.2025

Ollikainen/Hardenberger: Wagner/Widmann/Thorvaldsdottir/Sibelius – Tonhalle Zürich 04.04.2025

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