Delphine de Vigan – Les Enfants sont rois.

Einmal mehr hat mich ein Roman der französischen Autorin Delphine de Vigan absolut überzeugt und hellauf begeistert. Erneut habe ich ihn zeitgleich im französischen Original und in einer sehr guten deutschen Übersetzung gelesen, auch wenn ich ihn stellenweise ziemlich anspruchsvoll fand und für die parallele Übersetzung sehr dankbar war. Und einmal mehr hat de Vigan ein brisantes Thema spannend in absolut lesenswerte Literatur verpackt…

Schon bei der Lektüre von „Les Loyautés“ war für mich klar – diese Autorin ist eine absolute Entdeckung und trifft meinen Geschmack, sehr froh also über die Entscheidung meiner Französisch-Gruppe erneut einen Roman der französischen Autorin zu lesen. Und auch „Les Enfants sont rois“ zieht mich sofort in den Bann, in diese dichte Schilderung des Verschwindens eines Kinder-Youtube-Stars mit vielen hochinteressanten Einblicken in dieses Millionengeschäft.

„Même dans les drames les plus terribles, les apparences ont leur mot à dire.“ Mélanie, qui a grandi dans le culte de la téléréalité, n’a qu’une idée en tête : devenir célèbre. Mais son unique apparition à l’écran tourne au fiasco. Quelques années plus tard, mariée et mère de famille, elle décide de mettre en scène le quotidien de ses enfants sur YouTube. Le succès ne se fait pas attendre, et la voilà bientôt suivie par des millions d’abonnés. Jusqu’au jour où sa fille disparaît. Des années Loft Story aux années 2030, marquées par le sacre des réseaux sociaux, Delphine de Vigan explore les dérives d’une époque où l’on ne vit que pour être vu.“ (Gallimard)

Mélanie war als junges Mädchen ein großer Fan von Formaten wie ‚Big Brother‘. Sie hatte stets davon geträumt, gesehen und berühmt zu werden. Jahre später, als Mutter zweier Kinder, ist es ihr gelungen: Sie ist eine erfolgreiche Youtuberin mit Tausenden von Followern. Objekt ihrer Videos und Posts sind ihre Kinder, die auf Schritt und Tritt gefilmt werden. Seit Kurzem kommt ihre kleine Tochter dem Filmen jedoch immer unwilliger nach. Mélanie tut das als eine Laune ab. Denn wie könnte man die unendliche Liebe, die ihnen aus dem Netz entgegenkommt, als Last empfinden? Kurz darauf verschwindet Kimmy nach einem Versteckspiel spurlos. Wie, fragt sich die ermittelnde Polizeibeamtin Clara, soll man einen Verdächtigen ausmachen bei einem Kind, das Tausende Menschen kennen und mehrfach täglich sehen? Schnell begreift sie, dass ihre Methoden der Ermittlung in der virtuellen Welt vollkommen nutzlos sind … (Dumont Verlag)

Fast liest es sich wie ein Tatsachenroman und der Titel „Les Enfants sont rois“ klingt wie ein Hohn, denn gefeiert werden zwar die Kinder, die verdienten Summen in Millionenhöhe landen aber wohl zu grossen Teilen in den Taschen der Eltern. Es ist erschütternd und faszinierend zugleich, denn das ist die Realität, auch wenn neue Gesetzgebungen diese Art von Kinderarbeit zu verhindern suchen. Und unvermeidlich die psychischen Folgeschäden von social media, die aus heutiger Sicht noch nicht einmal in Ansätzen abzusehen sind oder doch, wir spüren es täglich, was der permanente Konsum von TikTok, YouTube etc. mit uns macht, wir kleben am Handy, wir kommunizieren über weite Strecken nur noch mit dem Bildschirm und wundern uns dann sehr, dass schon wieder 2 Stunden vergangen sind. Der spannende Plot dieses Romans ist ein Pageturner, hervorragend konzipiert mit den unterschiedlichen Erzählperspektiven und einem überraschenden letzten Teil. Interessant finde ich diese Konstellation der beiden aufeinander treffenden Lebenswelten, da ist die weichgezeichnete Familie von Mélanie mit ihren beiden Kindern Sammy und Kimmy und auf der anderen Seite dieses vom Polizeiberuf dominierte absolut analytische Leben der Ermittlerin Clara, dazwischen immer wieder Polizeiberichte. Famos! Lesenswert!

„Les Enfants sont rois“ („Die Kinder sind König“) von Delphine de Vigan, 2022, Gallimard, Collection Folio, ISBN: 9782072977374 / DuMont Verlag ISBN: ISBN 9783832181888(Werbung)

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