Es ist nach „Rosaleens Fest“ und „Die Schauspielerin“ der dritte Roman, den ich von Anne Enright gelesen habe und auch im neuen Roman „Vogelkind“ geht es um das Lieblingsthema der irischen Schriftstellerin – spezielle Familienkonstellationen….
Auch wenn es erneut interessante Persönlichkeiten und spannende Erzählperspektiven sind, so hatte ich doch etwa Mühe, mich in „Vogelkind“ hineinzufinden. Die Form des Romans wirkt etwa fragmentarisch, was wohl auch daran liegt, dass neben der immer wieder wechselnden erzählenden Figur (Nell, ihre Mutter Carmel und deren Vater Phil…) der Text immer wieder von Lyrik, von Versen des Vaters unterbrochen ist. Das ist stellenweise sehr schön, stellenweise ist es überhaupt nicht mein Geschmack.
Die junge Irin Nell verdient ihr Geld mit dem Schreiben von Reiseberichten über Orte, an denen sie nie war. Denn Nell hat Fantasie, und das Schreiben ist ihr Leben. Ihren Großvater, den berühmten Dichter Phil McDaragh, hat sie nie kennengelernt, aber seine Verse sprechen intensiv zu ihr. Auch Nells Mutter Carmel kennt diese Verse gut. Lange hat sie sich vergeblich bemüht, das Image des Dichters und seine Lyrik mit ihren Erinnerungen an den Vater zusammenzubringen. Nun ist es an Nell, um die Versöhnung zu kämpfen, die ihrer Mutter versagt blieb. (Penguin Verlag)
Es ist interessant über Nell, einer typischen Vertreterin der Generation Z zu lesen – also tiefe Verwurzelung in der digitalen Welt und hohe Medienkompetenz, gleichzeitig ein engagiertes Leben mit dem Fokus auf Nachhaltigkeit. All das liest sich sehr modern und zeitgemäss und bildet einen interessanten Kontrast zum eher unsympathischen Grossvater, dem Dichter Phil, der seine Frau nach deren Erkrankung verlassen hat und in den USA eine wesentlich jüngere Frau geheiratet hat. Zudem eine interessante, manchmal belastete, aber doch auch innige Verbindung mit ihrer Mutter Carmel. Insgesamt interessante Frauen-Figuren und teils amüsant zu lesende Begegnungen, Begebenheiten, Familienhappenings, die ich an den Romanen von Anne Enright immer sehr schätze und dennoch hat mich „Vogelkind“ nicht wirklich gepackt und bei der Stange gehalten, auch wenn ich den Witz und ihren situativen Humor sehr mag, zudem finde ich es interessant, dass man nicht immer weiss, ob es nun eine verschwommene Erinnerung, eine tatsächliche Begebenheit oder ein Wunschdenken der Protagonisten ist. Aber so ist das manchmal. Jeder Roman braucht auch immer den richtigen Moment im Leben des Lesers – bei mir hat es gerade eben nicht gefunkt. Dennoch finde ich Anne Enright – nach wie vor – eine lesenswerte, spannende Autorin. Ich schreibe nie über das Cover eines Buches – aber der Einband dieser Neuerscheinung ist wirklich hässlich. Das muss ich unbedingt erwähnen.
„Vogelkind“ von Anne Enright, 2025, Penguin Verlag, ISBN: 978-3-328-60332-0 (Werbung)
Dieser Blog-Beitrag ist ohne eine vereinbarte Zusammenarbeit mit dem Verlag entstanden. Ich habe ein Rezensionsexemplar kostenfrei zur Verfügung gestellt bekommen, wofür ich mich beim Penguin Verlag sehr herzlich bedanken möchte. Meine Meinung blieb davon in jeglicher Art und Weise unbeeinflusst.
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