Berner:innen!? Was ist los? Wie kann es sein, dass diese absolut sehenswerte „Götterdämmerung“ an den Bühnen Bern vor halbvollem Haus gespielt wird? Shame on you! Nach vier Jahren nun also das grosse Finale des „Ring des Nibelungen“ in der Regie von EWELINA MARCINIAK unter der musikalischen Leitung von NICHOLAS CARTER – eine spannende und absolut sehenswerte Produktion! BRAVI!…
Nach den ungewöhnlichen ersten drei Abenden „Das Rheingold“ (2021) „Die Walküre“ (2023) und „Siegfried“ (2024) war zu erwarten, dass auch die „Götterdämmerung“ nicht 08/15 sein wird. Und ich muss gleich vorneweg sagen, von allen in meinem Leben bisher besuchten „Götterdämmerung“ -Vorstellungen (und das sind einige…), war diese die absolut kurzweiligste – dieser letzte Abend der Tetralogie kann sich nämlich ganz schön hinziehen. Nicht so in Bern. Marciniak und ihr Team enttäuschen auch zum Finale nicht und bieten ein packendes grosses Finale. Das Ende der Götter spielt in einer eher futuristisch angehauchten Welt (Bühne: MIREK KACZMAREK, Kostüme: JULIA KORNACKA), technisch, kalt, nüchtern, man trägt gerne schwarzen Lack und Fetisch, mit vielen tollen Regieeinfällen, Bildern, Momenten wie etwa, wenn sich Gutrune gleich zu Beginn wie ein weiteres Stück Schlachtvieh an eine Stange neben Rinder- und Schweinehälften hängt und selten hat man so klar und deutlich verstanden, wie gross diese Demütigung Brünnhildes sein muss, wie sehr verletzt sie ist und wie gross ihr Wunsch nach Rache an Siegfried. Das bewegt sehr. Und noch nie habe ich einen so eindringlichen und sehr bewegenden Tod Siegfrieds mit dem Trauermarsch gesehen, wenn dieser gedoppelt durch den nackten und mit Blut übergossenen Tänzer (RAFAL MATUSIAK – toll!) sein Leben aushaucht, um dann in der Glasvitrine ausgestellt zu werden. Die Rheintöchter wollen den Ring nicht zurück, Brünnhilde verschwindet zuletzt in den Fluten des Rheins und Gutrune wird wohl die überlebende neue Machthaberin, die neue Weltordnung ist weiblich. CLAUDE EICHENBERGER als Brünnhilde dominiert den Abend, ist bestens in Form, überzeugt musikalisch und darstellerisch, ihr Schmerz ist überwältigend und bis in die letzten Reihen des Saales spürbar. Brava! Der Abend startet schon famos mit den bestens disponierten und klar textverständlichen Nornen SUSANNE GRITSCHNEDER, MARCELA RAHAL und CASSANDRA WRIGHT. LAWSON ANDERSON ist ein etwas blasser und als biederer Bürokrat inszenierter Alberich, dafür ist sein Sohn Hagen mit CHRISTIAN VALLE optimal, ja ideal besetzt, aalglatt, schmierig, finster und mit wunderbar strömendem dunklen Bass, dazu eine herrliche Charakterstudie von JONATHAN MCGOVERN als sein etwas verlotterter Halbbruder Gunther, der wohl eine nicht so gut besuchte Kneipe führt und die wunderbar hysterische Gutrune (mit ihren Mermaid-Strähnchen im Haar…) von CASSANDRA WRIGHT. JAMES KEEs Siegfried ist draufgängerisch, trägt eine Bikerkluft, geniesst es aber auch mit Brünnhilde auf der Ledercouch gemeinsam in Büchern zu schmökern und sein strahlender Tenor überzeugt bis zuletzt. Wirklich erwähnen muss man die Waltrautenerzählung von SUSANNE GRITSCHNEIDER – super inszeniert, toll gesungen! Köstlich zickig zu Beginn des 3. Aufzugs sind die drei Rheintöchter MARCELA RAHAL, EVGENIA ASANOVA und PATRICIA WESTLEY. Die Chorsequenzen der Gibichungen klingen äussert präzise einstudiert (ZSOLT CZENTNER) und wie bei den vorhergehenden Abenden sind auch in der „Götterdämmerung“ viele Momente mit Tänzer:Innen (CHANTAL KRAMER, RAFAL MATUSIAK, DARIO RIGAGLIA, BASTIAAN LOUIS – Choreographie: MIKOLAJ KARCZEWSKI) gedoppelt, zeigen die Emotionen, das Innenleben der Protagonist:innen (grossartig die Luftakrobatin JESS GARDOLIN als Pendant von Brünnhilde) oder lockern den Wagnerischen Pathos etwas auf, etwa, wenn ein Tänzer als Brünnhildes Ross Grane durch die Szenen wirbelt, ganz wunderbar ist das! Mein Fazit dieser Tetralogie in Bern: Man muss nicht nach Zürich, Berlin oder sonstwohin reisen, auch kleinere Häuser können Wagner, können einen ganzen Ring auf die Beine stellen! Bis zur letzten Minute packendes Regietheater, ein tolles Ensemble und aus dem Graben tönt ein prachtvoll musizierendes BERNER SYMPHONIEORCHESTER unter Nicholas Carter (von der Dynamik viel angenehmer als in der „Walküre“ und im „Siegfried“-Finale). Also liebe Berner:innen – warum seid ihr nicht in eurem Theater und schaut euch das an?
Zuletzt besuchte Musiktheater-Vorstellungen:
530: Das grosse Feuer – Oper Zürich 30.03.2025
529: Chowantschina – Grand Théâtre de Genève 28.03.2025
528: Macbeth – Theater St. Gallen 23.03.2025
527: Agrippina – Oper Zürich 11.03.2025
526: Manon Lescaut – Oper Zürich 6.3.2025
525: Rusalka – Staatsoper Stuttgart 27.02.2025
524: Dido and Æneas – Grand Théâtre de Genève 23.02.2025
523: Le songe d’une nuit d’été – Opéra de Lausanne 31.12.2025
522: Un ballo in maschera – Oper Zürich 17.12.2024
521: Fedora – Grand Théâtre de Genève 15.12.2024
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