Der neue Roman „Im Morgenlicht“ der amerikanischen Autorin Téa Obreht ist eine spannend zu lesende Mischung aus Coming of Age – Roman, Dystopie und wohl auch autofiktionale Aufarbeitung der Jugoslawienkriege…
Nachdem ich mit Téa Obrehts letztem Roman „Herzland“ etwas Mühe hatte und mich vor allem zu Beginn etwas durchkämpfen musste, hat mir „Im Morgenlicht“ ausserordentlich gut gefallen und konnte ich nach den ersten Seiten nicht mehr aus der Hand legen. Anfangs hat man auch hier etwas Schwierigkeiten sich einzufinden in diese ganz eigene und spezielle Welt, doch ist man erst einmal dort angekommen, ist die Handlung packend bis zum Schluss.
Sil und ihre Mutter sind in der versinkenden Inselstadt Island City angekommen, nach der Flucht aus ihrer einst schönen, kriegsversehrten Heimat – über die die Mutter so wenig spricht wie über den verschwundenen Vater. Der Neuanfang ist hart. Die Mutter schlägt sich als Bergungstaucherin durch, und die beiden kommen bei Tante Ena unter, die als Hausmeisterin den glanzvoll-maroden Wohnturm «Morgenlicht» versorgt. Sie sind hier nicht die Einzigen aus der alten Heimat: Im Penthouse residiert die mysteriöse Bezi Duras – eine exzentrische Malerin, politische Aktivistin oder vielleicht doch eine Hexe aus der alten Welt? Sil will mehr erfahren, über die eigene Herkunft, Bezi Duras und die Geheimnisse im «Morgenlicht». Dann zieht eine seltsame Familie ein, in der Sil eine Freundin findet, doch mit ihr bricht auch die totgeschwiegene Vergangenheit auf. Als die Mutter bei einem Tauchgang verschollen geht, steht Sil kurz davor, die ganze Wahrheit herauszufinden. (Rowohlt Verlag)
In dieser eher düsteren Zukunft gibt es wenig Licht, wenig Hoffnung, wir befinden uns in einer zerstörten Welt mit steigenden Meeren, Flüchtlingen, gesellschaftlichem Zerfall, gleichzeitig ist da diese ganz eigenwillige Mutter-Tochter-Beziehung und die diffus bleibende Herkunft der Familie, man kann mehr erahnen, als man erfährt und doch ist der Plot packend, denn obwohl der Text sich teilweise wie Science Fiction liest, weiss man doch, es ist real und heutig, auf alle Fälle originell. Und wenn dann bereits in den ersten Kapiteln Sagen auftauchen, in denen eine Vila die Hauptrolle spielt, so ist dies der Herkunft der Autorin zu verdanken, deren Wurzeln am Balkan liegen, die in Belgrad geboren wurde und seit ihrem zwölften Lebensjahr in den USA lebt. Trotz aller dystopischen Düsternis bietet „Im Morgenlicht“ viel Poesie, Schönheit und Licht in einer eher hoffnungslosen Zukunft. Fazit: Ungewöhnliches Lesevergnügen.
„Im Morgenlicht“ von Téa Obreht, 2024, Rowohlt Verlag, ISBN: 978-3-7371-0205-6 (Werbung)
Dieser Blog-Beitrag ist ohne eine vereinbarte Zusammenarbeit mit dem Verlag entstanden. Ich habe ein Rezensionsexemplar kostenfrei zur Verfügung gestellt bekommen, wofür ich mich beim Rowohlt Verlag sehr herzlich bedanken möchte. Meine Meinung blieb davon in jeglicher Art und Weise unbeeinflusst.
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Klingt sehr lesenswert.Danke für das aufmerksam machen.
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Gerne. Herzlichen Gruss aus Zürich. A.
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Die Autorin ist mir neu. Hab mal schnell Herzland ausgeliehen
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Dann bin ich mal gespannt, wie es Dir gefällt, „Im Morgenlicht“ hat mir fast besser gefallen. Enjoy und liebe Grüsse aus Zürich. A.
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