Der Nussknacker – Ballett Basel Premiere 13.12.2025

Letzte Ballettpremiere in diesem Jahr – ich bin in Basel zu MARCO GOECKEs Neukreation von Tschaikowskys „Nussknacker“ mit dem BALLETT BASEL und wer seine Arbeiten kennt, der weiss, dass es sicherlich kein bunt-kitschiges Weihnachtsballett mit vielen Mäusen, Zinnsoldaten und Schneeflöckchen in weissen Tutus wird…

Und so ist man dann auch nicht überrascht, dass man eintaucht in eine dunkle, manchmal fast schon albtraumhafte Welt mit leerer Bühne und sehr reduzierten Kostümen von MICHAELA SPRINGER. Die altbekannte Geschichte von „Nussknacker und Mäusekönig“, so wie man sie von E. T. A. Hoffmann kennt, erzählt uns Goecke natürlich nicht, stattdessen begegnen wir den Kindern Fritz (LOUIS STEINMETZ) und Marie (SANDRA BOURDAIS) – beide mit grossartiger Präsenz, absolut ausdrucksstark und wie ich finde: ideal besetzt! – und sehen die Welt durch deren Augen, ihre Sicht auf Freude, Streit, Sehnsucht, Furcht und die vielen Wunder, die man nur als Kind erleben kann, während die Welt der Erwachsenen verborgen bleibt. Und noch bevor die Musik erklingt, hebt sich der Vorhang und wir tauchen ein in eine Klangcollage, wir hören das Arbeiten des Holzes, dem Material vieler Böden und jahrhundertealter Möbel, die stumme Zeitzeugen und Bestandteil unzähliger Geschichten sind und waren. Was nach diesem irgendwie beklemmenden Spooky-Intro folgt, sind zwei Stunden collagenartige Wahrnehmungen der beiden Kinder und selbstverständlich gibt es den Nussknacker – in einer alten (JAMAL UHLMANN) und einer jungen (NIKITA ZDRAVKOVIC) Version, den Mäusekönig (ROSARIO GUERRA), die Zuckerfee (GIADA ZANOTTI) mit eindeutig sexueller Attitüde und den zwischen all diesen Welten hin- und her rasenden Paten Drosselmeier (MICHELANGELO CHELUCCI). Während der erste Teil bis zur Pause absolut packend ist und ich mich nicht satt sehen kann an den choreographischen Ideen Goeckes (Wunderbar die Zinnsoldaten!) mit den nervös flirrenden, permanent zuckenden, nervlich fast schon überreizten Händen, finde ich den zweiten kürzeren Teil etwas uninspiriert, den Blumenwalzer fast schon banal (mit diesen pinkfarbenen Pluderhosen…uhh!) und irgendwie schade, dass es nicht wirklich grosse Ensembles gibt, die wenigen sind dafür wunderbar und sehr präzise getanzt (toll finde ich diesen – ich nenne es mal – Teetrinker-Moment gleich zu Beginn, der ruhig etwas länger hätte dauern dürfen). Und auch die Schneeflocken findet man nur auf die Operafolie und den hinteren Teil des Tanzbodens projeziert – dies aber sehr schön… – und nicht in tänzerischen Momenten wieder (nicht, dass ich das erwartet hätte…). Insgesamt ist es eine eher düstere, dunkle Produktion (aber das waren bisher alle von ihm gesehenen Arbeiten), wer etwas Weihnachtsglitzer erwartet hatte, war sicherlich enttäuscht, Goeckes „Nussknacker“ ist es eine spannende neue Sicht auf dieses Standard-Repertoire-Ballett mit der wunderbaren Musik Tschaikowskys, deren Apotheosen unsentimental und nüchtern, fast schon staub-trocken und entkitscht und somit absolut passend zum Bühnengeschehen aus dem Graben klingen und doch kann man sich der Schönheit dieser Musik nicht entziehen, die relativ zackigen Tempi gefallen mir sehr gut – einmal gab es eine kleine Unsauberkeit bei den beiden Bühnenmusikern an der Trompete, ansonsten wurde absolut präzise musiziert vom SINFONIEORCHESTER BASEL unter der musikalischen Leitung von THOMAS HERZOG. Man merkt dem Ensemble an, dass sie teilweise schon langjährige Erfahrung mit Goeckes spezieller Bewegungssprache haben, egal ob solistisch oder in den Ensembles, alles wirkt vertraut, sicher und verinnerlicht, sie leben diese speziellen Bewegungen, Bewegungsabläufe, bei denen man immer das Gefühl hat, dass sie unter Strom stehen. In weiteren Rollen: PARKER GAMBLE (Fuchs), LORIS PUTS (General), ELLIANA MANNELLA & RACHELE ANAIS SCOTT (Maries Puppen), MAURUS GAUTHIER und DAVID LAGERQVIST (Aufziehfiguren), ANA PAULA CAMARGO (Schneekönigin) und natürlich das ganze Ensemble im Puppen- und Zuckerland: FEIZA BESSARD, JULIE L. BJELKE, EVA BLUNNO, LYDIA CARUSO, FILIPPO FERRARI, DAYNE FLORENCE, CHISATO IDE, CARLOS KERR JR., ANTHONY RAMIANDRISOA, VERÓNICA SEGOVIA, TANA ROSÁS SUÑE, LISA VAN CAUWENBERGH, SANNE VREE, CHENG-AN WU. Auf mich wirken die beiden Kinder sehr getrieben, ängstlich, und ich frage mich, vor was flüchten sie, vor dem Erwachsenenwerden, vor der grossen und gefährlichen Welt da draussen, vor Krieg, Zerstörung und der undefinierten Unruhe, die nach dem Ende der Kindheit auf sie warten. Vielleicht sind sie aber auch nur aufgeregt und warten auf den Schnee, der so lange auf sich warten lässt und die Welt mit seinen weissen glitzernden Kristallen überzieht, die Welt besser macht, all das Dunkel abdeckt. Ist das die Quintessenz dieses Abends? Dieses Warten? Es erschliesst sich mir nicht bis ins Detail, so leicht erzählt sich diese Geschichte eben nicht, muss auch nicht sein, viele Dinge sind der Fantasie überlassen, kann man sich selbst hinzuerfinden, hineininterpretieren oder es einfach so nehmen wie es ist, als einen zwar düsteren, aber interessanten Abend mit der immer wieder ganz eigenwilligen Bewegungssprache Marco Goeckes, ohne Pathos, ohne Glamour, ohne den oft so üblichen Nussknacker-Kitsch. Interessant!

What’s next auf meiner Tanz-Agenda? B.Dance: «Alice», eine Choreografie von Po-Cheng Tsai am Theater Winterthur.

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Der Liebhaber/Goecke – Ballett Basel 09.11.2025

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