Die Fledermaus – Oper Zürich 10.12.2025

Natürlich muss man ihn mögen, diesen Operetten-Schenkelklopfer-Humor mit all seinen schlüpfrigen Altherren-Witzen und Unter-der-Gürtellinie-Anspielungen – ich mag das eigentlich nicht – oder man trinkt sich eben vor der Vorstellung mit mehreren Gläsern Champagner in Laune – habe ich bei diesem Vorstellungsbesuch (leider) auch nicht geschafft. Und dennoch ist diese Neuproduktion der „Fledermaus“ an der Oper Zürich absolut sehenswert und ein bunter und sehr amüsanter Abend. Das liegt an der frischen Regie von ANNA BERNREITNER mit einer interessanten, detailreichen Ausstattung und selbstverständlich an der grossartigen Besetzung, die (fast) keine Wünsche offen lässt….

Mein Highlight in dieser Produktion ist definitiv die fahrende Schildkröten-Bar, als eine von vielen liebevollen Kleinigkeiten im absolut tollen Bühnenbild von HANNAH OELLINGER und MANFRED RAINER, von denen auch das Overtüren-Video stammt, mit dem dieser Abend beginnt und das uns die Vorgeschichte erzählt, denn all DAS begann vor 20 Jahren in einer (eher tristen) Champagnerbar in Wien. Das zweite Highlight ist die amüsante Choreografie von RAMSES SIGL mit den Tänzer:innen vor dem roten Hauptvorhang beim witzig neu arrangierten Vorspiel zum 3. Akt, eine bunte Melange aus Strauss’scher Tritsch-Tratsch-Polka und Bernsteins Mambo-Klängen – pure Partylaune mit lateinamerikanischen Rhythmen. Ach, und fast hätte ich es vergessen – es ist grossartig, hat man auf diesen unseligen Frosch-Monolog im Gefängnis verzichtet und irgendeinen Promi-Schauspieler dafür genötigt. Das ist wohl mein drittes Highlight, denn das finde ich in der „Fledermaus“ immer unsäglich und grässlich bemüht. Stattdessen gibt es drei weissgewandete Nornen, drei Schicksalsgöttinnen, die unseren Alltag kommentieren, auf viele aktuelle Dinge Bezug nehmen, sich aber natürlich auch mit den verkaterten Protagonist:innen beschäftigen und hierfür die neuen Texte von PATTI BASLER deklamieren. Köstlich ist das, und alleine deswegen lohnt sich schon der Besuch. Beim grossen Finale widmet Bernreitner sich der Frage, für welches Herzblatt sich Adele wohl entscheiden wird und nimmt Bezug auf einen Klassiker der TV-Abendunterhaltung. Aber der Reihe nach: Adele und Eisenstein sind im alltäglichen Grau angekommen. Wohltuend dann die Abwechslung am lebensfrohen Ball von Prinz Orlowsky, in einer bunten Fantasiewelt (herrlich kitschig: Rosalinde singt ihren Csárdás als „Venus“ in einer sich öffnenden Muschel – love it!), überbordend an vielen weiteren Details, eine Insel der Lust, eine Insel der Glückseligkeit mit orangefarbenen Palmen (passend zu Orlowskys erstem Kostüm) und der Verwandlungen. Zuletzt dann die Rückkehr zur Nüchternheit – am nächsten Morgen – im rein weisen Setting mit den drei Türen als Auftritts- und wohl auch Wahlmöglichkeit und erneut der neongelbe Blitz – der wohl ab und zu in uns alle fährt, und das Leben verändert – dieses wunderbare Kunstobjekt von Udo Rondinone, welches auch das Plakat ziert und im langweiligen Einheitsgrau des 1. Aktes den einzigen Farbakzent bildet. MARINA VIOTTI als Orlowsky ist eine einzige Metamorphose, zeigt drei köstliche Personenstudien – sehr französisch und androgyn in orangem Leder, very british mit überbordender Haarpracht und zuletzt gibt sie noch einen schrägen spanisch-akzentuierten Öko-Orlowsky. Ich war sehr gespannt auf sie, musikalisch haut sie mich jedoch leider nicht vom Hocker (zumindest in dieser von mir besuchten zweiten Vorstellung). Ganz anders die Kolleg:innen: GOLDA SCHULTZ als Rosalinde ist eine musikalisch und darstellerische Powerfrau, die alles für sich einnimmt, ebenso REGULA MÜHLEMANN, deren glasklar perlende Koloraturen begeistern – sie ist eine hinreissende, umwerfende Adele. MATTHIAS KLINK ist ein energiegeladener Gabriel von Eisenstein, ANDREW OWENS – witzig wie immer – glänzt mit seinem kraftvollen Tenor als Alfred. Auch alle weiteren kleineren Rollen sind wunderbar besetzt und man wünscht sich gerne mehr von RUBEN DROLE (immer toll auf der Bühne zu erleben!!!) als Gefängnisdirektor Frank. YANNICK DEBUS als Dr. Falke, NATHAN Haller als Dr. Blind, REBECA OLVERA als Ida – allesamt witzige Charakterstudien und mit vielen kleinen Details, hier hat die Regie hervorragende Arbeit geleistet. Und natürlich als die drei „Nornen“: LUCIA KOTIKOVA als Skuld, MELINA PYSCHNY als Verdandi und herrlich im Dialekt und mit trockenem Humor die wunderbare BARBARA GRIMM als Urd. Tolle Energie und gute Laune bei den Tänzer:innen SARA PENNELLA, SOPHIE MELEM, GABRIELA HINKOVA, SARA PEÑA, PIETRO CONO GENOVA, ROBERTO TALLARIGO, DANIELE ROMANO und LUKAS BISCULM. ERNST RAFFELSBERGER hat den CHOR DER OPER ZÜRICH einstudiert, dieser ist absolut spielfreudig und auf den Punkt. Aus dem Graben hört man einen forschen, trockenen, wirklich knallig-lauten Strauss, der vielleicht nicht jedem gefällt, für mich war es genau passend zum überbordenden Bühnengeschehen – Bravo LORENZO VIOTTI!

Die Kostüme von ARTHUR ARBESSER bedienen verschiedene Epochen, alles ist O.T.T., vor allem die Chor-Outfits sind ein klein wenig hysterisch, aber das passt. Man kann diese Produktion mögen oder nicht, sie ist absolut stimmig und wohl eine der besten Inszenierungen des Werkes, die ich je gesehen habe und könnte sich durchaus zu einem Schlager am Zürcher Haus entwickeln. Dieser Spagat, gut zu unterhalten, ohne dennoch allzu platt zu wirken, ist für jedes Fledermaus-Team eine Herausforderung, hier in Zürich – absolut gelungen! Also – mit ein paar Gläsern Champagner vorglühen und dann ab in diese Vorstellung! Herrlich!

Whats next? – Silvestervorstellung (same procedere as every year…): „Barbe-Bleu“ von Jacques Offenbach an der Opéra de Lausanne! 

Zuletzt besuchte Musiktheater-Vorstellungen:

544: La forza del Destino – Oper Zürich 26.11.2025

543: Hänsel und Gretel – Oper Zürich 20.11.2025

542: El Barberillo de Lavapiés – Theater Basel 05.11.2025

541: Pélleas & Mélisande – Grand Théâtre de Genève 02.11.2025

540: Der Rosenkavalier – Oper Zürich 01.10.2025

539: Tannhäuser – Grand Théâtre de Genève 28.09.2025

538: Manon – Oper Zürich 24.09.2025

537: Elektra – Theater St. Gallen 07.09.2025

536: La Traviata – Grand Théâtre de Genève 22.06.2025

Diesen Beitrag von arcimboldis_world kommentieren