Grosser Hype um den zweiten Roman von Nelio Biedermann und gleichzeitig immer die Erwähnung, dass er erst 22 Jahre alt ist, so dass ich mich immer frage „ja und – who cares?“ – macht dieses relativ junge Alter den Roman noch sensationeller? – „Lázár“ ist also aktuell in aller Munde, wird in viele Sprachen übersetzt, stürmt die Bestsellerlisten, erhält Besprechungen in allen Medien, sogar im Literaturclub spricht man über den Autor und diese Geschichte einer ungarischen Adelsfamilie. Zunächst habe ich mich dem Rummel verwehrt (weil mich das erst mal stutzig macht und eher abturnt), dann habe ich den Roman doch gekauft und sofort gelesen…
Und mein Eindruck während des Lesens: „Lázár“ ist ganz nett, man bleibt dran, von einem Pageturner würde ich nicht wirklich sprechen, mein Fazit nach der letzten Seite: hat viel Schönes, irgendwie überbewertet. Dennoch bin ich dran geblieben und selbstverständlich hat Nelio Biedermann grosses Talent, es gibt wirklich tolle Sätze, Ideen, Momente, Kapitel, Passagen, auch wenn mir das manchmal etwas sehr konstruiert erscheint und sich mit einer seltsam mystischen Aura zu umgeben versucht.
Alles beginnt, sogar das Ende, als Lajos von Lázár, das blonde Kind mit den wasserblauen Augen, zur Welt kommt. Seinem Vater, dem Baron, wird der Sohn nie geheuer sein, als ob er dessen Geheimnis ahnte. Mit Lajos’ Geburt im Waldschloss bricht auch das 20. Jahrhundert an, das das alte Leben der Barone Lázár im südlichen Ungarn für immer verändern wird. Der Untergang des Habsburgerreichs berührt erst nur ihre Traditionen, aber alle spüren das Beben der Zeit, die schöne Mária ebenso wie der geisterhafte Onkel Imre. Als Lajos in den zwanziger Jahren sein Erbe antritt, scheint der alte Glanz noch einmal aufzublühen. Doch die Kinder Eva und Pista – der das Dunkle so liebt – müssen erleben, wie totalitäre Zeiten ihre wuchtigen Schatten werfen – und lernen, gegen sie zu bestehen.
Ein Roman wie eine Welt, die überwältigende Saga einer Familie, getrieben von der Liebe und der Sehnsucht nach ihr, in den Strudeln des 20. Jahrhunderts. Fesselnd und berührend, zugleich voller Leichtigkeit, voller Träume und Geheimnisse, in denen sich die ganze Tragik und Schönheit der Existenz spiegelt. Und – ob angesichts historischer Katastrophen oder schöner Sommertage – die ewige Frage, wie man leben soll. (Rowohlt Verlag)
Ich hätte mir gewünscht, Nelio Biedermann hätte noch ein paar Jahre mit dieser (seiner) Familiengeschichte gewartet und wäre dann tiefer eingestiegen, denn interessant ist es zu lesen, die Figuren bleiben leider teilweise eindimensional, dabei möchte man doch gerne mehr von ihnen erfahren und sehr schade, bleibt einiges unausgesprochen, geheimnisvoll, nicht zu Ende erzählt, damit kann und will ich nicht leben. Schade, werden vor allem historische Ereignisse häufig nur beiläufig erwähnt oder kurz angerissen, dabei gäbe es so viel mehr, dass sich zu erzählen lohnen würde. Wenn ich als Leser angefixt werde, so brauche ich auch die weiteren Details, sonst bleibt mir das alles zu schwammig in Erinnerung. „Lázár“ lässt mich also etwas unbefriedigt zurück. Dennoch kann ich den Roman empfehlen, sein Erstlingswerk „Anton will bleiben“ von 2023 liegt schon seit geraumer Zeit auf meinem Lesestapel. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass wir noch einiges von Nelio Biedermann zu lesen bekommen, ich bin gespannt!
„Lázár“ von Nelio Biedermann 2025, Rowohlt Verlag, ISBN: 978-3-7371-0226-1 (Werbung)
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