Hänsel und Gretel – Oper Zürich 20.11.2025

Klar, wir nähern uns Weihnachten – es ist die Zeit für die obligatorischen Premieren und Vorstellungsserien von Engelbert Humperdincks spätromantischer Oper „Hänsel und Gretel“, so auch an der Oper Zürich. Und man darf sehr auf das Opern-Debüt von Regisseur THOM LUZ gespannt sein, wer ihn und seine Arbeiten kennt, der weiss, dass er ein grosser Theaterzauberer ist…

Während in der Zürcher Bahnhofstrasse und auf dem Bellevue-Platz mit der Eröffnung des Weihnachtsdorfes der offizielle Startschuss für Weihnachtsbeleuchtung und Konsumrausch erfolgt, sitze ich in der Oper und gebe mich diesem Klangrausch hin, den Humperdinck selbst als „Kinderstubenweihefestspiel“ betitelte, diese Anlehnung an das Werk Richard Wagners ist in vielen Sequenzen auch zweifelsfrei zu hören. Wie schön, befreit Luz den kitschig-klebrigen Stoff von Zeigefinger-Moral und Lebkuchen-Attitüde, bereits beim Betreten des Auditoriums sieht man die leere Bühne im Arbeitslicht, nüchtere Dekorationsteile, kein Vorhang, die Konzeption basiert auf einem frühkindlichen Erlebnis des Regisseurs am Opernhaus, bei dem er sich im Rahmen einer Führung vom Theaterzauber gefangen nehmen liess. Und diesen Zauber gibt er an uns weiter, füllt die Bühne mit überbordender Fantasie und freien Assoziationsmöglichkeiten, verwendet häufig sein wohl liebstes Tool: verschiedene Arten von Bühnennebel (ich erinnere mich sehr gut an seine wunderbar poetische Produktion „Girl from the fog machine factory„….). Im Mittelpunkt steht dann auch eine Replik des Zürcher Zuckerbäcker-Opernhauses (wie treffend hier Text und Umsetzung passen) und viele beeindruckend schöne Bilder, die man noch lange im Kopf hat, wie etwa der wunderschöne Abendsegen mit den an Seilzügen hängenden Kindern und einer romantischen Lichtstimmung, die man besser nicht hätte erzeugen können. Und so erzählt Luz dieses Märchen mit einfachen Mitteln, zeigt uns seine Erinnerungen an den frühen Theaterzauber und doch auch – auf einer Meta-Ebene – das Volksmärchen über die beiden im Wald verirrten Kinder Hänsel und Gretel, ob jedoch die vielen Kinder im Zuschauerraum all diese Bilder verstehen sei dahingestellt (zudem ist es ja nicht wirklich eine „Kinderoper“), doch spätestens, wenn das Sandmännchen (MARIE LOMBARD) im glitzernden Disney-like Prinzessinnenkostüm (das mich auch ein wenig an Glinda aus „Wicked“ erinnert) in den Schnürboden entschwebt , sieht man offene Münden und leuchtende Augen. Es gibt viele herrliche Details in dieser Inszenierung, wie etwa DIANA VORONETCAIA am Lichtklavier – eine Installation, die permanent Glühwürmchen im Rhythmus der Musik erzeugt – sein obligatorischer Bühnennebel in den unterschiedlichsten Varianten, ständig wechselnde Szenerien, Schattenspiele und ein wunderbar frisches Ensemble, aus dem Graben tönt es zudem ebenfalls grossartig. Die Kostüme von TINA BLEULER sind (bis auf wenige Ausnahmen) Alltagskleidung, das Kostüm der Hexe leider etwas misslungen, weil es mich sofort an eine beeinträchtigte Person denken lässt und ich das schwierig – weil sehr ableistisch – empfinde, hier hätte man etwas mehr nachdenken und sensibler sein sollen. Die von mir besuchte Vorstellung war die Premiere der alternierenden Besetzung, die sich aber wohl kaum vor der Premierenbesetzung zu verstecken braucht: meine absolute Favoritin ist YEWON HAN als Gretel, die mich mit ihrem wunderbaren Sopran und ihrem Spiel absolut bezaubert, als Hänsel steht ihr SIENA LICHT MILLER zur Seite. Sie ergänzen sich wunderbar, die Duette und vielen lyrischen Momente sind zauberhaft – der „Abendsegen“ ist tatsächlich auch ein musikalisch magischer Moment. VALERIY MURGA ist deren Vater Peter Besenbinder, grundsolide und immer mit einem kleinen Schalk im Nacken, dazu absolut textverständlich. Das Zürcher Opern-Urgestein IRÈNE FRIEDLI kann mich als Gertrud musikalisch nicht überzeugen, als Knusperhexe ist sie jedoch der absolute Knaller und ihr Auftritt facettenreich, vielschichtig und mit einer sehr starken Präsenz, toll, brava! Witzig sind die Primadonnen-Anspielungen in der Regie nicht nur bei ihr, sondern auch beim Taumännchen (SYLWIA SALAMOŃSKA-BACZYK) und die vielen weiteren kleinen Regiedetails, wie etwa das magische Funkgerät/Intercom als Zauberstab sowie immer wieder das Gefühl, die Momente, eher hinter, als vor die Kulissen zu blicken, ohne das eine Entzauberung stattfindet. Das, und vor allem die Leichtigkeit in der Umsetzung machen den Reiz dieser Inszenierung aus, die so einfach daherkommt und doch so durchdacht ist. Am Pult steht ANN-KATRIN STÖCKER, die bereits zu verschiedenen Anlässen das ORCHESTER DER OPER ZÜRICH leitete und (Gott sei Dank!) auf zu viel Kitsch und massivem Romantik-Wumms verzichtet, sondern eher die Handlungen auf der Bühne musikalisch illustriert, ich habe das als sehr wohltuend empfunden, so waren auch die Sänger grossenteils gut verständlich. Ein Kinderchor ist immer so eine Sache und für meinen Geschmack in dieser Vorstellung eine eher wackelige musikalische Angelegenheit (Einstudierung der SoprAlti und des Kinderchors: KLAAS-JAN DE GROOT), schön sehen sie jedoch aus, wie sie da mit ihren Lichtleins am Bühnenhimmel hängen. Die beiden Figuren Schlagi und Stechi (ONDREJ GRAF und LEON BLOHM) haben sich mir nicht wirklich erschlossen, mich aber auch nicht gestört und einmal mehr muss man die sehr engagierte Statisterie erwähnen. Diese Neuproduktion von „Hänsel und Gretel“ ist eine ganz eigenwillige Umsetzung, die wohl nicht jedermanns Geschmack findet, ich persönlich fand es wunderbar. Wo Thom Luz drauf steht, ist eben auch Thom Luz drin.

Und ich kann es kaum glauben, dass meine zuletzt besuchte Vorstellung von „Hänsel und Gretel“ bereits 35 Jahre her ist – woohoo… (Staatstheater Nürnberg: ML: Ulrich Windfuhr/R: Georg Groll)

Whats next? – „La Forza del Destino“ von Giuseppe Verdi an der Oper Zürich (ML: Gianandrea Noseda/R: Valentina Carrasco)

Zuletzt besuchte Musiktheater-Vorstellungen:

542: El Barberillo de Lavapiés – Theater Basel 05.11.2025

541: Pélleas & Mélisande – Grand Théâtre de Genève 02.11.2025

540: Der Rosenkavalier – Oper Zürich 01.10.2025

539: Tannhäuser – Grand Théâtre de Genève 28.09.2025

538: Manon – Oper Zürich 24.09.2025

537: Elektra – Theater St. Gallen 07.09.2025

536: La Traviata – Grand Théâtre de Genève 22.06.2025

535: Elias – Oper Zürich 17.06.2025

534: Salome – Oper Zürich 15.06.2025

533: Die tote Stadt – Oper Zürich 29.05.2025

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