Im Thomas Mann Jahr 2025 erschienen bisher allerlei illustre Neuveröffentlichungen (unter anderem auch die Neuinterpretation „Zauberberg 2“ von Heinz Strunk) und wohl am spannendsten: Der ausgewiesene Thomas Mann-Kenner Tilmann Lahme hat eine neue Biografie über den grossen deutschen Romancier geschrieben. Diese ist ein absolutes Muss für jeden Thomas Mann Fan, der knapp 600 Seiten dicke Wälzer liest sich absolut spannend und wartet mit neuen Fakten zu dessen (wohl leider nie gelebtem) Schwulsein auf. Und auch sonst macht es grosse Freude, sich mit dessen Leben und seiner spannenden Familiengeschichte zu beschäftigen, ganz viele Dinge hatte ich schon wieder vergessen und finde das nun grossartig erneut nachzulesen…
Thomas Mann und dessen Romane haben mich schon immer fasziniert, er ist einer der wenigen Autoren, dessen Werke ich regelmässig zur Hand nehme, nochmals lese oder zumindest Auszüge davon nachschlage, denn seine Literatur ist wunderbar und bietet mir immer wieder grossartiges Lesevergnügen. Nun also eine neue Biographie. Tilmann Lahme hat bereits vor ein paar Jahren die ebenfalls lesenswerte Familienchronik „Die Manns. Geschichte einer Familie“ sowie eine Biografie über Golo Mann veröffentlicht…
Er ist der literarische Magier des zwanzigsten Jahrhunderts: Nobelpreisträger und gefeiertes Genie, Großbürger und Familienvater, mit seiner Frau Katia in jahrzehntelanger Ehe verbunden und zugleich so unglücklich, wie man nur sein kann. Er liebt und darf nicht lieben, die Vorstellungen seiner Zeit stehen ihm im Weg. Was für ein Antrieb zu großer Literatur – und was für ein leidvolles Leben. Seit seinem frühen Welterfolg mit den ›Buddenbrooks‹ und zwei Jahrzehnte später mit dem ›Zauberberg‹ öffnen sich ihm alle Türen, bis hin zu der im Weißen Haus. Keine deutsche Stimme kämpft so hörbar gegen Hitler wie seine, kein anderer häuft Ehrungen auf sich wie er. Seine Frau Katia und seine sechs Kinder umringen ihn dabei wie eine Festung. Doch der Abgrund ist immer nur einen Schritt entfernt. (dtv Verlag)
In dieser neuen Biografie erhalten wir nun also erstmals neue Einblicke und unveröffentlichte Quellen, unbekannte Tagebuchpassagen und Briefe an den Jugendfreund Otto Grautoff und am spannendsten finde ich zu lesen, wie sehr die „Psychopathia Sexualis“ von Richard von Krafft-Ebing das Leben, die Sexualität, das Glück von wohl vielen jungen Männer zu dieser Zeit verhindert hat – und auch Thomas Mann und Otto Grautoff sehr beschäftigte – und sie einem Druck aussetzte, der nicht hätte sein müssen, sich von der Homosexualität zu befreien – als ob das ginge. Das macht mich betroffen und traurig, wie viele ungelebte schwule Leben! Wie viele unglückliche Männer und Frauen, die sich in eine heterosexuelle Beziehung flüchten mussten, um nicht aufzufallen, war doch Homosexualität immer noch verboten, existierte immer noch der berüchtigte Paragraph 175. Ich stelle mir die Frage, was und vor allem wie Thomas Mann geschrieben hätte, wäre die Situation eine andere gewesen. Das ist ein wirklich interessanter Fokus – der längst hätte aufgearbeitet werden müssen – in dieser neuen Biografie und beantwortet für mich schon einige der offenen Fragen, zudem ist die schillernde Geschichte der Familie Mann immer wieder interessant nachzulesen und so nehme ich mir jeden Abend ein paar Seiten vor, denn aufgrund der Dicke des Buches ist es sowieso nur möglich, darin zu Hause am Sofa oder im Bett zu schmökern, keine gute Lektüre für unterwegs. Lahmes Schreibstil mag ich sehr, denn er erzählt klar und prägnant, humorvoll und mit echter Anteilnahme. Aktuell ist dies ein Standardwerk zu Thomas Mann, wird es wohl auch für sehr lange Zeit bleiben. Und natürlich macht es direkt Lust, sich die Romane Thomas Manns wieder zur Hand zu nehmen und zu überprüfen, ob sie sich nun aufgrund dieser Biografie neu und anders lesen (lassen). Grosse Literatur sind seine Werke allemal und werden es für mich auch immer bleiben.
„Thomas Mann. Ein Leben“ von Tilmann Lahme, 2025, dtv Verlag, ISBN: 978-3-423-28445-5 (Werbung)
Dieser Blog-Beitrag ist ohne eine vereinbarte Zusammenarbeit mit dem Verlag entstanden. Ich habe ein Rezensionsexemplar kostenfrei zur Verfügung gestellt bekommen, wofür ich mich beim dtv Verlag sehr herzlich bedanken möchte. Meine Meinung blieb davon in jeglicher Art und Weise unbeeinflusst.
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