Der Rosenkavalier – Oper Zürich 01.10.2025

Die Eröffnungspremiere der neuen Intendanz unter Matthias Schulz an der Oper Zürich ist eine spektakuläre, buchstäbliche „Wiener Maskerad'“ in hochkarätiger Besetzung und einer absolut gelungenen Inszenierung von LYDIA STEIER, die in dieser tiefsinnigen Gesellschaftskomödie das Leben in all seinen Facetten zeigt und überhöht, gleichzeitig immer wieder subtil das Alter und den Tod auf die Bühne holt – absolut gelungen und sehenswert!

Wie zu erwarten, dominiert bei diesem gut 4.5 Stunden dauernden Spektakel die knallbunte opulente Ausstattung bzw. das kreative Gesamtkonzept des österreichischen Künstlers GOTTFRIED HELNWEINS – das ist keineswegs ausschliesslich plakativ, das Farbkonzept macht Sinn, die Kostüme sind grossartig (unter Mitarbeit von DIETER EISENMANN und ROSA MARIA PRESTA (Bühne) sowie LOUISE-FEE NITSCHKE (Kostüme)). Interessant, wie zeitlos diese Ausstattung wirkt, war sie in ähnlicher Version bereits 2005 an der Los Angeles Opera zu sehen (damals in der Regie von Maximilian Schell). Diese Handschrift ist unverkennbar und ein paar typische Helnwein-Zitate hat es auch, wie etwa die bandagierten Köpfe des Kinderchores. Und in jeder Szene, jedem Moment spürt man: Regisseurin LYDIA STEIER kennt das Stück sehr gut, kein Wunder, sie hat es zuletzt am Luzerner Theatern 2023 in einer ebenfalls wunderbaren Produktion (in einer interessant klingenden „kleinen“ Version bearbeitet von Eberhard Kloke) – die mir ausserordentlich gut gefiel – bereits auf die Bühne gebracht. Nun also ganz gross angerührt und opulent in Zürich. Hier wird zu Beginn dieser neuen Ära geklotzt und nicht gekleckert. Und schon lange habe ich nicht mehr eine Produktion gesehen, mit einer derart feinen und ausgereiften Personenregie, bei der man das Gefühl hat, dass mit wirklich jedem Charakter intensiv gearbeitet wurde (was bei dieser ellenlangen Besetzungsliste fast ein Ding der Unmöglichkeit ist…). Sehr amüsant und chaotisch ist das absolut turbulente Lever im ersten Aufzug, musikalisches Highlight ist einmal mehr die Rosenüberreichung zu Beginn des zweiten Aufzugs, mit einem ungewohnt übellaunigen Octavian, der sich dieser unleidlichen Aufgabe fügt und zumindest solange darüber herrlich genervt ist, bis ihn der Zauber der „Liebe auf den ersten Blick“ mit Sophie erwischt und er sich den grossen Gefühlen nicht mehr entziehen kann. Der dritte Aufzug – das berüchtigte Hinterzimmer – ist weit mehr als die übliche Spelunke für ein Stelldichein, hier kann der Ochs seine Leidenschaften ausleben, sich anketten und erniedrigen lassen, hier wird er für alle sichtbar zu einer gar lächerlichen Person. Die drei grossen Frauenrollen sind mit DIANA DAMRAU (Marschallin, erwartungsgemäss alles überstrahlend), ANGELA BROWER (Octavian, wunderbar nuanciert und facettenreich) und EMILY POGORELC (Sophie, herrlich zickig und aufmüpfig) wunderbar besetzt und lassen keine Wünsche offen, der herrlich überspannte und sich permanent selbst überschätzende Ochs auf Lerchenau ist eine wunderbare Charakterstudie von GÜNTHER GROISSBÖCK, er ist auch der einzige, dessen Kostüm sich farblich immer vom monochromatischen Setting abhebt, nur im letzten Aufzug, da passt er dann wie die Faust aufs Auge ins sündige Rot, überhaupt ist das Farbkonzept Helnweins absolut treffend: Gold und Gelb für den protzigen Faninal’schen Reichtum, Blau für den erwartungsvollen Morgen und Rot für den Moment, in dem alles explodiert: Liebe und Intrige. Dieses Farbkonzept ist so überwältigend gut und treffend und manifestiert sich immer wieder auch in kleinen Details, etwa, wenn im emotionsgeladenen dritten Aufzug die Lust der Jugend dominiert, die Marschallin aber gleichzeitig leichenblass und im kalten Rokoko-Blau gewandet genau das Gegenteil verkörpert. Bei dieser Saisoneröffnung wird also aus dem Vollen geschöpft auch bei den Kostümen für die Solist:innen, dem Chor, der Statisterie und dem Kinderchor. Spannend und im krassen Gegensatz zum opulenten Treiben auf der Bühne tönt die Musik aus dem Graben. JOANA MALLWITZ dirigiert die vielschichtige Partitur eigenartig spröde und mit flotten Tempi, das ist wohl nicht jedermanns Sache, mir persönlich gefällt dieses ungewöhnliche Hörerlebnis ausnehmend gut, bereits bei ihrem Tonhalle-Debüt fand ich ihre ganz eigene Mahler-Interpretation unglaublich spannend. Dennoch muss man sagen, dass vor allem bei den Konversationsstellen es oftmals fast unmöglich war zu folgen, so krasse Tempi habe ich in diesem Stück selten gehört, andererseits lässt sie dann doch auch wieder genügend Raum für die lyrischen Passagen, vor allem natürlich im Terzett und im Schlussduett im 3. Akt – das war ingesamt gesehen ganz wunderbar. Interessanterweise war Leopold, der Diener des Ochs, von der Regie als eine beeinträchtige Person angelegt, finde ich grundsätzlich eine super Idee, zwecks Sichtbarkeit, jedoch kann ich absolut nicht nachvollziehen, wieso man hierfür keinen beeinträchtigten Schauspieler engagiert hat (die es gibt!), sondern dies von SANDRO HOWALD hat spielen lassen, das ist alles andere als inklusive Arbeitsweise, das ist eine Schande! Alle weiteren Rollen wurden grossenteils aus dem Ensemble besetzt und waren – wie bereits erwähnt – hervorragend und vor allem köstliche Charakterstudien: BO SKOVHUS in der immer etwas undankbaren Rolle des Herrn von Faninal), CHRISTIANE KOHL als Jungfer Marianne Leitzmetzerin, als Intrigantenpärchen NATHAN HALLER (Valzacchi) und IRÈNE FRIEDLI (Annina), STANISLAV VOROBYOV – super, als Polizeikommissar sowie JOHAN KROGIUS (Haushofmeister bei der Marschallin/Wirt), DANIEL NORMAN (Haushofmeister bei Faninal), Max Bell (Notar), OMER KOBILJAK (Sänger), REBECA OLVERA (Modistin), SYLWIA SALAMONSKA-BACZYK, THALIA COOK-HANSEN und CASHLIN OOSTINDIË als adlige Waisen, SALVADOR VILLANUEVA ZUZUARREGUI als Tierhändler und PING ZHANG, JÜRGEN APPEL, GERHARD NENNEMANN, WOJCIECH RASIAK (Lakaien der Marschallin), UTKU KUZULUK, UWE KOSSER, KRISTOF DOHMS, KAI FLORIAN BISCHOFF (Kellner). Wohlverdienter Applaus für eine wirklich wunderbare Vorstellung und auch wenn dies nicht meine erste besuchte Vorstellung an der Oper Zürich in dieser Spielzeit ist (ich bin mit „Manon“ gestartet…) – dieser „Rosenkavalier“ ist ein sehr guter Start für diese neue Intendanz! Bravi!

Zuletzt besuchte Musiktheater-Vorstellungen:

539: Tannhäuser – Grand Théâtre de Genève 28.09.2025

538: Manon – Oper Zürich 24.09.2025

537: Elektra – Theater St. Gallen 07.09.2025

536: La Traviata – Grand Théâtre de Genève 22.06.2025

535: Elias – Oper Zürich 17.06.2025

534: Salome – Oper Zürich 15.06.2025

533: Die tote Stadt – Oper Zürich 29.05.2025

532: Carmen – Opera Carlo Felice Genova 25.05.2025

531: Götterdämmerung – Bühnen Bern 16.04.2025

530: Das grosse Feuer – Oper Zürich 30.03.2025

529: Chowantschina – Grand Théâtre de Genève 28.03.2025