Elektra – Theater St. Gallen 07.09.2025

„Summer is over“ und es wird Zeit in die neue Opern-Saison 2025/26 einzusteigen. Also auf nach St. Gallen in diesen immer wieder wunderbaren Paillard-Theaterbau zu einer wieder aufgenommenen „Elektra“-Produktion der letzten Saison in der Regie von LISABOA HOUBRECHTS unter der musikalischen Leitung von Chefdirigent MODESTAS PITRENAS…

„Elektra“, einer meiner absoluten Opern-Favoriten und in St. Gallen für mich etwas Besonderes, denn 1993 – also vor über 30 Jahren (äh, ja!) – war dies mein erster Besuch in der Schweiz, an diesem Haus, mit ebendiesem Werk (ML: John Neschling/R: John Dew) und damals war noch in keinster Weise absehbar, dass ich einmal einen Schweizer Pass haben und in Zürich leben werde – crazy. Nun also erneut (und natürlich komplett anders) dieses unglaubliche Strauss’sche Werk, das mich in unzähligen Produktionen und verschiedensten Besetzungen immer wieder fasziniert und mitreisst. So auch – zumindest musikalisch – in dieser St. Galler Produktion. Man spielt die von Pitrenas bearbeitete reduzierte Orchesterfassung von Richard Dünser und das ist alles andere als ein Qualitätsverlust, vielmehr ist es eine optimale Anpassung an die örtlichen Gegebenheiten von Raum und Akustik und was soll man sagen, die Partitur hat absolut nichts von ihrem Bombast eingebüsst, vielmehr klingt sie wohl austariert, immer noch wuchtig, gleichzeitig filigran und durchlässiger sowie absolut sängerfreundlich. Die besuchte Sonntagnachmittagsvorstellung ist leider alles andere als gut besucht, der Altersdurchschnitt ist hoch, es ist wohl einer der letzten Sommertage in der Ostschweiz – man flaniert lieber draussen, als sich mit einem zu rächenden Vatermord zu beschäftigen. Schade, denn man bekommt ein Sänger-Ensemble auf hohem Niveau und ein wunderbar differenziert aufspielendes SINFONIEORCHESTER ST. GALLEN mit stellenweise scharfen Konturen – gefällt mir sehr gut. Auf der Bühne hingegen wirkt alles ein wenig unentschieden, überfrachtet mit Symbolen und (unnötigem) Aktionismus. Ich entnehme dem Programmheft, also den Notizen der Regisseurin, dass Elektra zuletzt eine Verwandlung durchmacht und zu Orest wird, den Racheakt also selbst ausführt, sie wechselt die Farbe von schwarz zu weiss, sie blickt in die Spiegelwände und erkennt diese spirituelle Verwandlung zwischen dem Weiblichen und dem Männlichen. Das ist für mich doch alles sehr weit hergeholt und macht keinen Sinn, erscheint mir nicht schlüssig, stört mich aber auch nicht. Viel störender empfinde ich diesen Theater-im-Theater-Unsinn, die Mägde und weitere Personen (u.a. Orest und sein Diener) sind Einlasspersonal und Bühnentechniker in der entsprechenden Arbeitskleidung des St. Galler Hauses samt Merchandising-Tote-Bag, das ist so lächerlich und albern und ich kann es manchmal fast nicht ertragen, denn gesungen wird von allen wunderbar. Der Bühnenraum von CLÉMENCE BEZAT ist zu Beginn ein überdimensioniertes Kinderzimmer – das macht Sinn, denn hier finden auch die Begegnungen von Elektra mit ihrer Schwester Chrysothemis (ganz wunderbar und wie immer prächtig bei Stimme: SYLVIA D’ERAMO) und natürlich ihrer Mutter Klytämnestra (ARIANA LUCAS) statt. Toll der erste Auftritt von ihr, wie sie von oben herab auf das Kind schaut, etwas verlebt, ja fast versoffen sieht sie aus mit ihrer dunklen Sonnenbrille und sie trägt ein interessantes, für mich irgendwie indisch angehauchtes grünes Kostüm (OUMAR DICKO), mit den sonst üblichen Steinen, Ketten und Amuletten ist sie allerdings nicht behängt. Leider schlägt bei beiden Begegnungen und Schlüsselszenen das Regietheater unerbittlich zu – zunächst müssen die Mägde gemeinsam unter Schmerzen gebären – aaah, das ersehnte „Weiberschicksal“ von Chrysothemis – danach werden diese Neugeborenen dann als Bündel von den Mägden ins Zimmer geworfen – aaaah, das Opfer gegen die schlaflosen Nächte der Mutter. Das ist leider ein Wermutstropfen bei diesen sonst musikalisch spannenden Momenten, auch wenn die Klytämnestra von Ariana Lucas leider so gar nicht ankommt gegen die alles überstrahlende Stimme und Ausstrahlung der Elektra von ELIŠKA WEISSOVÁ. Bereits ihr erster Auftritt, wenn sich die Schranktür im Kinderzimmer öffnet und sie „Allein, weh ganz allein“ singt, schon nach dem ersten Satz nimmt sie mich gefangen, diese Stimme, die gefühlt tief aus ihrem Inneren herausströmt, das ist toll und die ganze Vorstellung über fast durchwegs textverständlich (was bei dieser Partie nicht unbedingt immer der Fall ist) und sicher in allen Lagen. Ich bin begeistert und glaube ihr jedes gesungene Wort, der starke Beifall beim Schlussapplaus ist wohlverdient. Die Frauenstimmen sind insgesamt sehr stark: CHRISTINA BLASCHKE (1. Magd), JENNIFER PANARA (2. Magd), MACK WOLZ (3. Magd), ANNA MAHON (4. Magd/Schleppträgerin), KALI HARDWICK (5. Magd) und KATRINE DELEURAN (Aufseherin/Vertraute), da ist es – wie häufig bei Strauss – schwierig für die Männer, sich zu profilieren (noch dazu, wo aufgrund des Regiekonzepts der männlich gelesene Sänger dem Orest einfach seine Stimme leiht, sonst aber nicht wirklich vorhanden ist oder sein darf…) und so bleiben die Herren etwas blass: KRISTJÁN JÓHANNESSON (Orest), RICCARDO BOTTA (Aegisth), JONAS JUD (Pfleger/alter Diener), BARNA KOVÁCS (junger Diener). Dennoch hat sich der Besuch dieser Vorstellung gelohnt, musikalisch eine wunderbare Vorstellung, ELIŠKA WEISSOVÁ für mich eine Entdeckung und überhaupt kann man „Elektra“ nicht oft genug hören.

Wenn ich in mein Opernarchiv blicke, stelle ich fest, dass meine zuletzt besuchte „Elektra„-Vorstellung doch schon ein paar Jahre her ist (2019, Oper Zürich – Simone Young/Martin Kušej), also hätte mein persönlicher Saisonauftakt nicht besser sein können.

What’s next? – „Manon“ (Massenet) an der Oper Zürich (in wunderbarer Besetzung: Lisette Oropesa und Benjamin Bernheim).

Zuletzt besuchte Musiktheater-Vorstellungen:

536: La Traviata – Grand Théâtre de Genève 22.06.2025

535: Elias – Oper Zürich 17.06.2025

534: Salome – Oper Zürich 15.06.2025

533: Die tote Stadt – Oper Zürich 29.05.2025

532: Carmen – Opera Carlo Felice Genova 25.05.2025

531: Götterdämmerung – Bühnen Bern 16.04.2025

530: Das grosse Feuer – Oper Zürich 30.03.2025

529: Chowantschina – Grand Théâtre de Genève 28.03.2025

528: Macbeth – Theater St. Gallen 23.03.2025

527: Agrippina – Oper Zürich 11.03.2025