Caroline Wahl – Windstärke 17.

Nach einem ersten Erfolg mit dem Debüt-Roman ist die Erwartungshaltung an den Nachfolger meist sehr gross, so auch bei Caroline Wahl, die mit ihrem Erstling „22 Bahnen“ einen Coming-Of-Age-Nerv getroffen und wochenlang die Bestsellerlisten angeführt hat. Dessen Charme konnte man sich nicht entziehen, nun also die Fortsetzung: „Windstärke 17″….

Natürlich bin ich gespannt, wie es mit Ida weitergeht, der kleinen Schwester Tildas, die wir bereits aus dem fulminanten Debütroman kennen. Wahl nimmt uns also mit auf die Reise und bereitet uns eine bunte Melange aus Kitsch, Liebesgeschichte und klassischer Heldenreise mit gut angerührten und zu Herzen gehenden Zutaten – DJ’s und Drogen, Tod (der Mutter), Liebe (der DJ), Alkohol, Freundschaften über Generationen hinweg und eine Krebserkrankung geben dem zweiten Roman also Würze. Von allem etwas, nie zu viel, ein wenig weichgespült, für jedes Alter tauglich. Und es funktioniert, auch wenn es stellenweise etwas trieft vor bemühten Klischees und man immer das Gefühl hat, der Roman wurde auf eine Verfilmbarkeit hin geschrieben. Man kann die Dialoge förmlich hören, man sieht die Bilder schon vor sich.

Ida hat nichts bei sich außer dem alten, verschrammten Hartschalenkoffer ihrer Mutter, ein paar Lieblingsklamotten und ihrem MacBook, als sie ihr Zuhause verlässt. Es ist wahrscheinlich ein Abschied für immer von der Kleinstadt, in der sie ihr ganzes bisheriges Leben verbracht hat. Im Abschiednehmen ist Ida richtig schlecht; sie hat es vor zwei Monaten nicht einmal auf die Beerdigung ihrer Mutter geschafft. Am Bahnhof sucht sie sich den Zug aus, der am weitesten wegfährt – auf keinen Fall will sie zu ihrer Schwester Tilda nach Hamburg –, und landet auf Rügen. Ohne Plan, nur mit einem großen Klumpen aus Wut, Trauer und Schuld im Bauch, streift sie über die Ostseeinsel. Und trifft schließlich auf Knut, den örtlichen Kneipenbesitzer, und seine Frau Marianne, die Ida kurzerhand bei sich aufnehmen. Zu dritt frühstücken sie jeden Morgen Aufbackbrötchen, den Tag verbringt Ida dann mit Marianne, sie walken gemeinsam durch den Wald oder spielen Skip-Bo, abends arbeitet Ida mit Knut in der »Robbe«. Und sie lernt Leif kennen, der ähnlich versehrt ist wie sie. Auf einmal ist alles ein bisschen leichter, erträglicher in Idas Leben. Bis ihre Welt kurz darauf wieder aus den Angeln gehoben wird. (DuMont Verlag)

Und so tragisch die Geschichte stellenweise ist, als Leser fühlt man sich seltsamerweise immer wohl und gut aufgehoben und hat das Gefühl, dass schon alles irgendwie gut gehen wird, das ist seltsam und irritierend, diese Aussicht auf ein unbedingtes Happy End, dass die Schwester Tilda mit ihrer kleinen Familie in Hamburg – einer Idylle, die schon sehr nach biederer Spiessigkeit klingt – schon längst erreicht hat. Wer hätte das gedacht? Ich habe diesen irgendwie kantenlosen Roman sehr gerne und interessiert gelesen, mich an den vielen sympathischen Menschen erfreut, das wilde, stürmisch-aufbrausende und herausfordernde Meer – in dem Ida bei roter Flagge schwimmen geht und fast umkommt – zur Kenntnis genommen und mich am Ende gefragt, ob es wohl einen dritten Roman mit den Protagonisten geben wird. Ich hoffe nicht, auch wenn die Geschichten nicht zu Ende erzählt sind und noch etwas Stoff hergeben würden. Das wäre sicherlich gut zu vermarkten. Anyway – hat mir der Roman nun gefallen oder nicht? Ich bin mit meinem Fazit etwas hin- und hergerissen, aber letztendlich muss ich sagen, dass ich beide Romane doch sehr gerne gelesen habe, denn sie haben etwas Junges, Frisches und trotz aller Tragik so viel Lebensbejahendes.

„Windstärke 17“ von Caroline Wahl, 2024, DuMont Verlag, ISBN: 978-3-8321-6841-4 (Werbung)

Zuletzt gelesen:

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12 Kommentare

  1. Xeniana

    Ich habe heute mit einer Freundin über die Romane von Caroline Wahl gesprochen. Wir sind bisher beide an den Klischees gescheitert: Arme kaufen JA Produkte, leben in Plattenbauten die trist sind und das Jugendamt sieht weg. Allerdings finde ich Caroline Wahl in Interviews sehr authentisch und sympathisch. Ich lese Literatur über prekäre Biografien lieber. Von Autoren mit prekären Biografien, weil ich glaube dass sonst das Eigentlich fehlt , fehlen muss. Egal wie: Caroline Wahl hat mit ihren Romanen einen Nerv der Zeit getroffen. Ich Versuche das angelesene Buch jetzt mal zu Ende zu lesen

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