Tarjei Vesaas – Frühlingsnacht.

Dem Guggolz-Verlag ist es zu verdanken, dass die Werke des norwegischen Romanciers, Lyrikers und Dramatikers Tarjei Vesaas (1897 – 1970) zugänglich sind, denn seine Texte sind eine wirkliche Entdeckung. Nicht umsonst wurde er immer wieder für den Literatur-Nobelpreis gehandelt, hat ihn jedoch nie erhalten. In seiner Heimat zählt er zu den bedeutendsten Autoren des 20. Jahrhunderts und nach „Die Vögel“ (erschienen 1959) hat mich nun auch „Frühlingsnacht“ (von 1954) sehr begeistert…

Also wirklich eine Entdeckung. Denn wenn man ganz ehrlich ist, hat man von diesem Autor bisher eher wenig, bis gar nichts gehört. Schön, ändert sich das so langsam und man kann hoffen, dass noch viele weitere Werke auf Deutsch erscheinen werden.

In „Frühlingsnacht“ steht der 14-jährige Hallstein im Mittelpunkt, gerade an der Schwelle zwischen Kindlichkeit und Erwachsenensein, der mit seiner älteren Schwester Sissel über Nacht allein zu Hause bleibt, als die Eltern zu einer Beerdigung in die nahe Ortschaft fahren. Hitze und Feuchtigkeit liegen drückend auf dem Tag, und als die Geschwister sich zum Abendessen setzen, klopft es an der Tür. Eine fremde Familie benötigt nach einer Autopanne Unterkunft, zumal eine junge Frau kurz vor der Entbindung steht. Alle sind in Aufruhr, die Besucher bringen dramatische Konflikte mit, und die Frühlingsnacht wird zu einem Abenteuer, das Ungeklärtes zutage befördert und jeden verändert zurücklässt. Tarjei Vesaas schafft mit wenigen Strichen eine verzauberte Atmosphäre. Die norwegische Natur um das Haus blüht und wächst, Bäume schlagen aus, Knospen springen auf, und der unaufhaltsame Lebenstrieb sprießt auch in Hallstein und Sissel. (Guggolz Verlag)

Ein wenig braucht es schon, um sich an diese aufgeregt, flatternd-nervöse Sprache zu gewöhnen, die in diesem Roman vorherrscht, aber genau das verkörpert auch diese im Roman beschriebene einzige Frühlingsnacht, von der erzählt wird, diese Aufregung, zum ersten mal alleine, ohne Eltern, im Hause zu sein, nur mit der Schwester, dieses aufregende Gefühl kennt wohl jeder. Und das vermittelt sich in „Frühlingsnacht“ grossartig, vieles wird angedeutet, vieles bleibt ungeklärt und doch ist eines klar, sowohl für Hallstein, als auch für seine Schwester Sissel, ist nach dieser Nacht nichts mehr, wie es vorher war. Sie werden konfrontiert mit grundlegenden, einschneidenden Ereignissen wie Geburt und Tod und auch die erste Liebe ist bereits ein Thema. Und auch wenn mich „Die Vögel“ auf eine ganz andere Art und Weise begeistert hat, so ist „Frühlingsnacht“ ein Roman, den man nicht beiseite legen mag, zu sehr ist man gefangen von den Personen, ihren Emotionen und möchte bei jedem Umblättern wissen, was denn nun kommt, was denn noch passiert, denn man hat permanent das Gefühl, der Text arbeitet auf ein ganz bestimmtes Ereignis hin, es fühlt sich an wie ein kleines Kammerspiel, intim und doch mit vielen unterschiedlichen Bewusstseinswelten, man blickt von aussen und ist dennoch ein Teil davon. Irgendwie ungewöhnlich und irgendwie wunderbar, wenn man sich darauf einlassen kann und will…

„Frühlingsnacht“ von Tarjei Vesaas, 2025 (erstmals 1959), Guggolz Verlag, ISBN: 978-3-945370-49-0 (Werbung)

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