Carmen – Opera Carlo Felice Genova 25.05.2025

Oh well, es ist Jahre her, seit meiner letzten „Carmen“ (Theater Basel, 2011, ML: Gabriel Feltz/R: Calixto Bieito), das hat aber auch damit zu tun, dass dieses Werk nicht zu meinen liebsten gehört. Aber bei einem Aufenthalt in Genua ist ein Besuch der Opera Carlo Felice natürlich obligatorisch und so besuchen wir die letzte Vorstellung einer Aufführungsserie von Bizets Gassenhauer-Werk, bei dem man immer versucht ist mitzuträllern…

Und während ich mich sehr beherrschen konnte, so war in den Sitzen in meiner Nähe nicht nur bei der Habanera ein leises Summen zu hören. Überhaupt ist ein Opernbesuch in Italien eher ein kleines Volksfest und nicht so ruhig und verhalten und möglichst still und leise, wie wir es von hier (beispielsweise in Zürich) gewohnt sind. In diesem architektonisch nicht uninteressanten Haus (Wiedereröffnung 1991) zeigt man seine Begeisterung mit lauten Bravi/Bravo/Brava-Rufen und wenn ich es mir recht überlege, gefällt mir das sehr. Denn zu bejubeln gab es viel. Und das in einer Inszenierung, von der ich grundsätzlich sagen würde, dass es „der alte Max“ ist. Aber es passt einfach. Und zwar alles. Der „Carmen“-erfahrene spanische Regisseur EMILIO SAGI bringt Opulenz in einem sehr ästhetischen Setting von DANIEL BIANCO auf die Bühne, bewegt die Massen und zeigt viele kleine liebenswürdige Details bei den Randfiguren – immerhin konnte man diese Produktion bereits am Teatro Municipal de Santiago de Chile, am Teatro Colón de Buenos Aires und an der Ópera de Roma sehen (die Wiederaufnahme dieser Produktion erfolgte durch NURJA CASTEJÓN, von der auch die Choreographien stammen). Ich erinnere mich noch sehr gut an Sagis wundervolle Produktion „Le chanteur de Mexico“ an der Opéra de Lausanne mit Rossy de Palma, bei der auch die Opulenz mit der erforderlichen Portion Kitsch dominierte. So auch in dieser „Carmen“, man fühlt sich versetzt in die Aussenbezirke Sevillas, hat aber niemals das Gefühl, dass hier alles komplett historisiert wurde. In heutigen Zeiten eher moderner Ausstattung-Ästhetik ist das ein absoluter Hingucker, man fühlt sich stellenweise in ein Wimmelbild versetzt. Überraschenderweise hat mir das sehr gut gefallen, bin ich doch sonst eher kein grosser Fan von derartigen Produktionen. ANNALISA STROPPA gibt eine Carmen mit wunderbar warmen Timbre und starker Persönlichkeit, ihre wirkliche Stärke erreicht sie jedoch erst mit fortschreitender Vorstellung, es klang fast so, als brauche sie etwas Zeit „warmzulaufen“, danach aber begeistert sie mich komplett und spätestens zur Seguidilla hat sie mich und gefangen lausche ich dieser farbenreichen hellen Stimme bis zum starken und selbstbewussten Finale, wo sie Don José nicht den Triumph der Rache überlässt, sondern den eigenbestimmten Tod wählt.

Mit FRANCESCO MELI als Don José hat sie natürlich einen hervorragenden Partner an ihrer Seite, dessen Tenor grossartig, sauber und selbst in den Höhen unangestrengt klingt. Hingegen finde ich den Escamillo von LUCA TITTOTO fehlbesetzt, er ist zu alt für diese Rolle (warum sollte Carmen Don José für ihn verlassen?) und auch stimmlich klingt dieser Bass sehr gepresst und ziemlich angestrengt, als würde ihm diese Partie überhaupt nicht liegen, was soll’s – seine musikalischen Nummern und natürlich sein „Torreador-Song“ wird stark bejubelt und beklatscht. GIULIANA GIANFALDONIs Micaela ist – trotz angekündigter Indisposition – ein Highlight in diesem sehr starken Ensemble (Dancairo: ARMANDO GABBA, Remendado: SAVERIO FIORE, Morales: PAOLO INGRASCIOTTA, Zuniga; LUCA DALL’AMICO, Frasquita: VITTORIANA DE AMICIS und Mercedes: ALESSANDRA DELLA CROCE). Es gibt einige wirklich grossartige musikalische Momente, vor allem das wunderbare Quintett „Nous avons en tête une affaire!“ bleibt mir sehr in Erinnerung. Auch Chor, Kinderchor (Einstudierung: CLAUDIO MARINO MORETTI/GINO TANASINI) und die Tänzer:innen waren hervorragend einstudiert, präsent und auf den Punkt. Während ich bei der Ouvertüre noch dachte, oh, was für ein Ritt, was für ein Tempo, ging es dann doch insgesamt gemächlicher zu, DONATO RENZETTI am Pult schafft es, diese Partitur voller Spannung und Verve zu dirigieren mit absolut sängerfreundlicher Dynamik und hörbar grosser Erfahrung mit diesem Werk und dem Orchester der Opera Carlo Felice Genova und ich muss sagen, dass die Akustik in diesem Saal ganz hervorragend ist. Beschwingt und gleichzeitig berührt vom bewegenden Finale verlasse ich diese Vorstellung. Bravo a tutti!

Zuletzt besuchte Musiktheater-Vorstellungen:

531: Götterdämmerung – Bühnen Bern 16.04.2025

530: Das grosse Feuer – Oper Zürich 30.03.2025

529: Chowantschina – Grand Théâtre de Genève 28.03.2025

528: Macbeth – Theater St. Gallen 23.03.2025

527: Agrippina – Oper Zürich 11.03.2025

526: Manon Lescaut – Oper Zürich 6.3.2025

525: Rusalka – Staatsoper Stuttgart 27.02.2025

524Dido and Æneas – Grand Théâtre de Genève 23.02.2025

523: Le songe d’une nuit d’été – Opéra de Lausanne 31.12.2025