Zeitgemässer geht es fast nicht: Der Regisseur und Dramatiker BONN PARK inszenierte „Romeo und Julia“ nach Shakespeare am Schauspielhaus Zürich und nennt es eine „Italo-Disco-Oper“ – Premiere war im Januar 25. Das sind 90 Minuten grossartige Unterhaltung mit aktueller politischer Brisanz und dazu ein riesiger Spiegel, der uns allen vorgehalten wird… – sehr coole Produktion!
Das Stück eröffnet und schliesst ein Chor, den wir noch in verschiedenen Rollen sehen werden, es sind Schauspielstudierende (Il Dente des Mondo: MARTHA BENEDICT, HANNA DONALD, AYHAN ERANIL, CLEMENS VON GAGERN, FLORIAN GAMILLSCHEG, MALIN LAIS, ALICE SHCHUTSKA, AGNES STECHER) und es sind Worte, die es auf den Punkt bringen, die uns schon einmal darauf einstimmen, was uns erwartet – die Welt ist aus den Fugen geraten, wir stecken mitten im Wahlkampf der beiden Familien Montague und Capulet. Und wir sehen all das auf der Bühne, was uns täglich im TV, in den Sozialen Medien und im Alltag begegnet, Fakenews, Floskeln, Verdrehungen der Wahrheit, egal ob von Links oder von Rechts, Populismus at its best und vieles davon kennen wir aus den USA, kennen wir von Trump, das macht den Abend umso lustiger, wenn es nicht die traurige Wahrheit wäre. Gesungen wird viel und zu Beginn hat man etwas die Befürchtung, dass die Singerei der falschen Töne, kein Ende nehmen wird, denn es ist (wohl bewusst) eine schräge Mischung aus Karaoke und Italo-Songs, bei denen man permanent (vermeintlich) das Gefühl hat, die Lieder zu kennen, dem ist aber nicht so und ich bin mir auch ziemlich sicher, dass man es besser hätte hinbekommen können, dies aber gar nicht die Intention ist, denn Sänger:in kann heute sowieso jede*r werden, egal ob er/sie es kann oder nicht, man muss es einfach nur zu 180 % wollen, auch das kennen wir zur Genüge aus vielen Formaten der TV-Unterhaltung. Und so nimmt auch mit den komplett neuen Texten von BONN PARK und den Songs von BEN ROESSLER die unheilvolle Handlung ihren Lauf. Grossartig – und das war abzusehen – ist die famose KATHRIN ANGERER als Julia (bzw. Giulietta), zum Schreien komisch in der langen Szene auf der Piazza, wenn sie mit Romeo (MORITZ GROVE) am Brunnen sitzt und ihren Smalltalk abspult, so witzig, so authentisch, so gut beobachtete und wiedergegebene oberflächliche Alltagsfloskeln, die man in Zürich in jedem Strassencafé zu hören bekommt, wenn man an den benachbarten Tischen lauscht, es geht um Lifestyle -Themen und natürlich geht es auch um „Amore“ und man amüsiert sich als Zuschauer köstlich über die mit Italianità durchsetzte Phrasendrescherei. Grove ist eher zurückhaltend, fast schon schüchtern (liebt Musicals und schnelle Autos…), kommt aber natürlich gegen die immense Präsenz von Angerer fast nicht an – Sie ist wirklich wunderbar in diese Rolle! Immer wieder taucht GOTTFRIED BREITFUSS als Padre Amme auf und entzückt uns mit seiner Zickigkeit in dem bekannten gequälten Tonfall. Die beiden unterschiedlichen politischen Positionen werden von ANITA SOPHIA SOMOGYI (Signora Presidente Montague) und MICHAEL NEUENSCHWANDER (Signor Governatore Capulet) verkörpert und wenn man ihnen versucht zuzuhören, während sie sich bei Wahlkampfdiskussionen permanent gegenseitig ins Wort fallen, so erinnert das schon an die TV-Duelle, die man kennt und hat grosses Vergnügen an der leeren Wort- und Satzhülsen. LUKAS VÖGLERs Mercutio Montague ist ein vom Alltag Genervter, der sich darüber echauffiert, dass er einmal mehr sein DHL-Paket abholen gehen muss, weil es zu Hause nicht zugestellt werden konnte und TABITA JOHANNES liefert als Tybald Capulet eine äussert amüsante atemlos-hysterische Studie ab, bei der man stellenweise etwas Angst hat, dass sie vor lauter Hyperventilation gleich ohnmächtig von der Bühne getragen werden muss. All das spielt im Comic-haften multifunktionalen Setting von JANA WASSONG, wirklich grossartig sind die Kostüme von LAURA KIRST. Ich bin nicht immer ein Fan von Überschreibungen, die oftmals peinlich in die Hose gehen, weil man auf Teufel komm raus, sich vom Klassiker distanzieren will, hier jedoch gibt es grossartige Unterhaltung, ein lustiges Possenspiel, dennoch so aktuell und zeitgemäss, wie es nur sein kann, man macht sich nicht lustig über das Stück, man nimmt es ernst und das macht den Abend eben richtig gut, auch wenn wir „nur“ unsere aktuelle Weltlage 1:1 live auf der Bühne sehen. Hierfür muss man sich nichts aus den Fingern saugen. Und eben, man kann es nur nochmals erwähnen – der Besuch lohnt sich alleine schon wegen Kathrin Angerer. Die Produktion läuft noch bis Ende Juni und wer es bisher nicht gesehen hat, der sollte unbedingt noch eine der letzten Vorstellungen besuchen….
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Oh, sehr toll geschrieben. 👍 Würde ich mir glatt sofort ansehen wollen. 😊
Aber da kann ich Dir auf jeden Fall auch „Romeo und Julia“ im Theater des Westens in Berlin empfehlen. Peter Plate und Ulf Leo Sommer haben da etwas auf die Beine gestellt, was jetzt in ihre 2. Saison gestartet ist. Texte nach Shakespeare – Musik modern und passend. Ich mag sowas sehr!
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Ja, ich habe davon gelesen, fand ja Rosenstolz früher immer super, aber ich bin nicht mehr so viel in Musicals unterwegs, habe ja auch das Genre beruflich schon lange verlassen, finde es aber immer wunderbar, wenn jemand was Neues wagt und das dann auch noch erfolgreich ist. Und dem TdW wieder zu neuem Glanz verhilft……..herzlichst aus Zürich. A.
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Ja, es ist wirklich was Neues – auch schon die beiden Ku-Damm Stücke passten perfekt zu Berlin.
Aber das, was Du hier schreibst, das liest sich auch vollkommen klasse. Wenn Zürich nur noch so weit weg wäre…
Aber hey, Rosenstolz-Fan war ich damals auch. Kam man in Berlin auch nicht dran vorbei – glaube Peter und Ulf haben im TdW ihre Berufung gefunden.
Liebe Grüße aus Berlin
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Dass man den Konflikt zwischen den Montagues und den Capulets an einem Wahlkampf aufhängt, finde ich sehr sinnfällig. Es ist mir immer schwergefallen zu verstehen, warum sich diese beiden Familien bis aufs Blut bekriegen, aber ein Wahlkampf veranschaulicht das sehr gut. Man stelle sich vor, Romeo käme aus einer MAGA-Familie! Das würfe jedoch die Frage auf, wie Julia ihn überhaupt lieben kann. Politisch sehr naiv, dann, das Mädel 🙂
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Ja, da stimme ich Dir absolut zu, genau deshalb ist diese Produktion absolut schlüssig. Und witzig, dass Du jetzt mit der MAGA Familie daherkommst, hast Du auch das Magazin der NZZ am Sonntag gelesen? 🙂 Noch einen schönen Ausklang des Weekends. Herzlichst, A.
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Nein, die NZZ am Sonntag lese ich nur ganz selten. Aber Dein Kommentar legt mir nahe, dass es sich lohnen wird, sie morgen im Büro zu lesen! Maga ist halt einfacher (und krasser) als Parteien, die geografisch näher sind, nicht? 🙂
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