Es ist nach „Atonement“ die zweite abendfüllende Neuproduktion für das Ballett Zürich von CATHY MARSTON und zugleich Eröffnung der Ballett-Saison am Opernhaus Zürich: „Clara“ – nach „The Cellist„, in dem sie sich mit der Cellistin Jaqueline du Pré auseinandersetzte, nun also ein neues Handlungsballett über Clara Schumann, eine weitere grosse und bedeutende Musikerin und Komponistin ihrer Zeit…
Hin- und hergerissen zwischen gesellschaftlichen Zwängen und ihrer Karriere als Pianistin und Komponistin, führte Clara ein aufreibendes Leben, Cathy Marston beleuchtet die unterschiedlichsten Aspekte des Lebens von Clara Schumann mit all seinen Höhen und Tiefen ihrer entsagungsreichen Kindheit, später dann ihre grossen Erfolge als Pianistin, die frühe, gegen den Vater durchgesetzte Liebe zum Komponisten Robert Schumann und die Erziehung von sieben Kindern, im Fokus steht ebenso die langjährige innige Freundschaft mit Johannes Brahms, die immer wieder zu Spekulationen Anlass gab. Es ist ein Leben als Tochter, Künstlerin, Ehefrau, Mutter, Pflegerin, Managerin und Muse und all diese unterschiedlichen Facetten hat Marston mit jeweils einer Tänzerin besetzt (Wunderkind: GIORGIA GIANI, Künstlerin: RUKA NAKAGAWA, Ehefrau: NANCY OSBALDESTON, Mutter: SUJUNG LIM, Pflegerin: INNA BILASH, Managerin: MCKHAYLA PETTINGHILL und MAX RICHTER als Muse). Clara Schumann war also Zeit ihres Lebens zerissen zwischen ihrer Kunst und der Verantwortung ihrem Mann, ihrer Familie gegenüber, zuvor ein langer Kampf um Robert Schumann mit ihrem dominanten Vater. Erst nach dem Tod Schumanns und einem Zerwürfnis mit Brahms findet Clara zu sich selbst, in einem starken Schlussbild vereinen sich all diese unterschiedlichen Facetten zu einer starken Künstlerpersönlichkeit – Clara ist frei. Obwohl Clara namensgebend und thematisch den Fokus dieser Produktion bildet, ist ihr Mann Robert Schumann (grossartig KAREN AZATYAN, neu im Ensemble) der wahre Mittelpunkt dieser mit zwei Pausen knapp 3 Stunden dauernden Neuproduktion. Ein wenig oberflächlich ist der Abend schon, die Aufspaltung Claras in sieben Tänzerinnen zwar grundsätzlich eine gute Idee, aber vor allem optisch, denn wenn alle Tänzerinnen mit schwangerem Bauch auf Spitze mit Bourrées über die Bühne tippeln, ist das zwar witzig, zeigt aber nichts von der Zerrissenheit Clara Schumanns, von der man sich doch etwas mehr zu sehen gewünscht hätte. Von den Anstrengungen Claras, ihre Familie und Berufung unter einen Hut zu bringen, ist nicht allzuviel zu spüren, auch das doch sehr innige Verhältnis zwischen Clara und Johannes Brahms wird eher oberflächlich behandelt. Viel stärker ist für mich an diesem Abend ihr Mann Robert Schumann, zuletzt in der Klinik von seiner psychischen Erkankung geplagt, liegt er leidend auf dem stilisierten Flügel. Vor allem im ersten Akt ist er omnipräsent und tänzerisch mit vielen umwerfenden Hebungen und Partnerarbeiten eine Wucht. Choreographisch zeigt Marston auch in dieser Arbeit unzählige ihrer betörenden „Knäuel“, Pas de trois und sehr viel kraftvolle Bodenarbeit. Auch die beiden anderen männlichen Figuren sind mit CHANDLOR DALTON als Johannes Brahms und ESTEBAN BERLANGA als Friedrich Wieck (Vater) hervorragend besetzt. Irgendwie finde ich es irritierend, dass in einem Stück über Clara Schumann vor allem die starken Männer in Erinnerung bleiben, die Frauen etwas blass erscheinen – das ist der offensichtliche Nachteil dieses Konzeptes, dieser Aufsplittung auf sieben Tänzerinnen, eine psychologische Entwicklung der Figur Clara Schumann innerhalb des Stückes ist nicht möglich. Neben unzähligen weiteren Rollen des ganzen Ensembles (u.a. SHELBY WILLIAMS als Mutter Marianne Wieck, JOEL WOELLNER als Adolph Bargiel, FRANCESCA DELL’ARIA) stechen vor allem PABLO OCTÂVIO als Joseph Joachim und – wie soll es anders sein – Schumanns Kinder hervor (LILA MICHEL, ALJOSCHA NIELSEN, MALINA PFISTER, PHILIPP RAUBER und ADÉLIE ROCH von der Tanzakademie Zürich). Die Bühne von HILDEGARD BECHTLER schafft interessante Räume, zitiert natürlich Claras Instrument: das Klavier – eine sehr schöne Idee und von MARTIN GEBHARD stimmungsvoll beleuchtet, die Kostüme von BREGJE VAN BALEN sind historisch verortet. PHILIP FEENEY, ein langjähriger Mitstreiter von Cathy Marston, verwebt in seiner Ballettpartitur nicht nur Stücke von Clara, sondern auch von Robert Schumann und Johannes Brahms. Am Pult der Philharmonia Zürich steht DANIEL CAPPS, aus dem Graben tönen expressive, leuchtende Töne, die Musik steht optisch und akustisch klar im Mittelpunkt dieser Produktion und mit der Pianistin RAGNA SCHIRMER hat man sich hierfür eine ausgewiesene Spezialistin für das Werk von Clara Schumann dazugeholt. Musik und Tanz sind bei „Clara“ absolut ebenbürtig und werden beim Applaus auch entsprechend gewürdigt.
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Danke für diese hervorragende Kritik! Ich war am 9. November in dieser Vorstellung & kann mich Ihren Worten nur anschließen: Die neu komponierte Musik, die dem Stile der Schumanns folgt, das Hineinweben neuer Musik in deren Musik ist fantastisch gelungen, die achtsame Choreografie & die herausragende Güte des ganzen Ensembles war/ist absolut großartig & zauberhaft.
Aber auch ich kritisiere die Geschichte an der Geschichte, die eigentlich hätte „Robert“ heißen müssen, & nicht „Clara“. Zu schade, dass ihre Geschichte im Todesjahr ihres Manns offen endet, begann erst danach ihr Genie zu glänzen als Karriere- & Businessfrau, gefragteste Dozentin, Herausgeberin & bedeutendste Pianistin des 19. Jahrhunderts, die hauptsächlich dafür verantwortlich war, dass wir die Musik ‚ihrer‘ Männer heute überhaupt kennen. Leider fehlt dieser Teil von rund 40 Jahren Lebensgeschichte komplett & ist somit nicht auf dem Stand der heutigen Forschung dazu, sondern erzählt das althergebrachte & überaltete Narrativ, das bereits hinlänglich bekannt ist.
Leider eine große vertane Chance. Ich hätte mir zudem gewünscht, dass das Klavier besser im Focus steht. Nicht als halb versunkene Kiste auf der Bühne, sondern dass Ragna Schirmers Spiel mit im Mittelpunkt steht als quasi künstlerische ‚Nachfahrin‘ Clara Schumanns. Es hätte sichtbar an den Rand der Bühne gehört, mit Spot drauf, nicht in den Orchestergraben abgetaucht. Es wäre auch toll gewesen, hätte es eine Kamera auf Ragnas Schirmers Hände gegeben, die man im Untertitelfeld hätten eingeblendet werden können. So wirkt das Ganze leider, als häbe man den Kern von Claras Schumanns Sein doch nicht wirklich verstanden…
Susanne Wosnitzka
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